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Die Geometrie der Wolken

Die Geometrie der Wolken

Titel: Die Geometrie der Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Foden
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würde. Ich brauchte einen Windkanal und eine Druckkammer. So etwas gab es in Southwick nicht.
    Als ich die Umleitung von WANTAC arrangiert hatte, kümmerte ich mich endlich um die andere Mitteilung, die mir auf dem Gewissen lastete. Ich schrieb Gill.
    Uns war zum Arbeiten eine Nissenhütte oben am Hang zugeteilt worden, und dort brachte ich mein eigenes Wetter in Ordnung, während ich den Rufen der zahlreichen Möwen zuhörte, die draußen durch die graue Atmosphäre flogen. Ich schrieb einen kurzen Brief, in dem ich Gill mein verspätetes Beileid ausdrückte und mich ganz direkt für das entschuldigte, was ich getan hatte. Es wäre mir sinnlos vorgekommen, um den heißen Brei herumzureden und mildernde Umstände geltend zu machen.
    Ich erklärte, dass ich mich in Portsmouth aufhielt, und schlug vor, dass wir uns treffen könnten, sobald meine Arbeit etwas überschaubarer wurde. Die Adresse fehlte mir immer noch. Da ich mich aber daran erinnerte, dass sie mit Mädchennamen Blackford hieß und dass Ryman erzählt hatte, dass ihr Vater in den Saunders-Roe-Werken arbeitete (was, wie ich mich erinnerte, auch aus den Geheimdienstunterlagen über Ryman hervorging, die Sir Peter mir vor all den Monaten gegeben hatte), schrieb ich den Brief an Gill Ryman c/o Mr Blackford adressiert an die Firma. Falls er nicht mehr dort arbeitete, gab es dort bestimmt jemanden, der wusste, wo er wohnte.
    Als ich den Umschlag versiegelt hatte, war ich unglaublich erleichtert. Mit dem Brief in der Tasche meiner Uniformjacke rannte ich zum Haupthaus hinunter, um die Abendpost noch zu erwischen. Ich erinnere mich heute noch daran, wie es juckte - zum einen juckte der blaue Serge-Stoff, zum anderen die Sehnsucht nach Vergebung, danach, dass meine Sünden einer anderen Zone zugeteilt wurden. Doch leider neigen sie dazu zurückzukehren, als würden sie sich ihren Weg nach Hause durch die Tore und Gassen der Atmosphäre suchen.
     

2.
    Während ich am Freitagmorgen zum Frühstück Eier und Speck aß, wehte ein Westwind durch die Bäume vor dem Fenster. Als ich sah, wie die Äste sich bewegten, und dabei immer noch an die Saunders-Roe-Werke dachte, kam mir plötzlich eine Idee. In der Fabrik gab es bestimmt einen Windkanal: Ich konnte die Instrumente dort überprüfen. Staggs Einwand, er könne mich nicht entbehren, bestand zwar immer noch, aber ... so würde es sich nur um einen Tag handeln. Nicht mal einen ganzen.
    Selbst so eine kurze Zeitspanne konnten wir uns jetzt kaum noch leisten. Die riesenhafte Kriegsmaschinerie in ihrer erzwungenen Reglosigkeit auf engstem Raum erwartete verzweifelt ihre Freisetzung. Für die unbändige Triebkraft der ganzen Operation - den Tagen und Wochen komplexer Vorbereitungen, den Monaten der Planung, den Jahren aufgesparter Energie, ganz zu schweigen von der Hoffnung auf Befreiung der europäischen Völker aus dem Joch der Nazis -, für all das waren wir, die sogenannten Wetterpropheten, jetzt die einzig verbliebene Bremse.
    Wenn wir nicht Anfang der kommenden Woche angriffen, wäre der nächste Zeitraum mit ansatzweise passenden Bedingungen vierzehn Tage entfernt, und bis dahin hätten die Deutschen sicher all die verschiedenen Truppenbewegungen und Täuschungsmanöver durchschaut und die Küste der Normandie weiter verstärkt.
    Selbst Yates, die phlegmatische Verkörperung von amerikanischem Mut und Stolz, wurde unruhig. Er machte sich schon Sorgen, der Feind könnte die Bewegung der großen Schiffe beobachtet haben. »Dann ist das Überraschungsmoment verloren«, hatte er am Tag zuvor gesagt. »Und wohin sollen die Schiffe sich verteilen, wenn wir den Angriff aufschieben müssen? Wenn es einen Sturm gibt, könnten wir die ganze Flotte verlieren!«
    Mit diesen düsteren Vorahnungen im Kopf stieg ich mit Yates den Hang hinauf zu unserer Nissenhütte, wo ich mit ihm und Stagg die neuen Wetterkarten begutachten sollte. Ich und diese beiden beeindruckenden Gestalten. Männer, die ihre Kriegsarbeit im Hintergrund taten, der eine einen Meter fünfundneunzig groß, schottisch und jähzornig, der andere ein kleiner, dunkler, geduldiger Ami von sportlicher Statur. Echte Helden, diese beiden. Sie wussten, was eine Wettervorhersage bedeutete, wenn die schwierigen Meteorologenkollegen sich nicht mal einig waren, und müssten dennoch der Phalanx von Generälen entgegentreten. Und das wieder und wieder. Ein Tag nach dem anderen voller Wetterkarten und nervenaufreibender Konferenzen und eine Nacht nach der anderen mit zu wenig

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