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Die Geometrie der Wolken

Die Geometrie der Wolken

Titel: Die Geometrie der Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Foden
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Schleimspur hinterließ. Als ich sie aufhob, gab es ein schmatzendes Geräusch, und sie zog sich in ihr Haus zurück.
    Ich dachte an etwas, das in grauer Vorzeit in die Existenz wirbelte. Bevor die Zeit ihre Macht ausübte, bevor lang und breit, links und rechts, innen und außen etwas bedeuteten, bevor man zwischen den Enden von Objekten und dem Raum dazwischen unterscheiden konnte. Bevor Dinge sich verbinden oder trennen konnten, bevor sich in Zellen Zwischenräume öffneten und sich neue Zellen bildeten, wodurch Individuen entstanden. Bevor, bevor, bevor ... Vor wirklich allem außer dem ursprünglichen Wirbel, dessen Staubansammlung selbst in die Existenz gesaugt werden musste, damit er sich aus der Formlosigkeit formen konnte.
    Ich weiß noch, dass ich mir all das sagen wollte oder etwas Ähnliches, wobei ich gleichzeitig nach innen sah und auf die Schnecke in meiner Hand. In dem Augenblick kam es mir vor, als wäre ich für alle Ewigkeit die Schnecke und ihr Haus aus irgendeinem Grund jeder Ort auf der Welt. Das hört sich heute natürlich ziemlich verrückt an. Es gibt keine Worte, mit denen man dieses Gefühl anderen übermitteln kann. Die Mathematik dagegen ist universell. Wenn man schreibt
     

     
    was die Formel der Ryman-Zahl ist -, verstehen einen zumindest fachkundige Mathematiker überall auf der Welt. Die andere wirklich internationale Sprache ist die Musik, meine andere große Leidenschaft. Wenn man einem Pianisten oder Sänger ein Musikstück vorlegt, wird man bis zu einem gewissen Grad der Interpretation ebenso verstanden werden. Wo wir gerade beim Thema sind - ich höre mir gerade wieder in meiner Kabine Haydns
Schöpfung
an, und gerade kam die Stelle, an der das Fortissimo beim Wort
Licht
nach C-Dur moduliert.
    Licht!
    Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde ...
    Gerade weil es so außer Mode gekommen ist, arbeite ich gerne an meinem Deutsch. Der Siegeszug des Englischen, der seit einiger Zeit seinen Lauf nimmt, ist trotz aller Vorteile für uns Briten und die Amerikaner sehr bedauerlich. Deutsch lässt einen geradeaus denken. Als Heinz Wirbel, der Meteorologe, der aus der Junkers gesprungen war, sich nach dem Krieg bei mir meldete und einen Briefwechsel anregen wollte (auch er hatte sich für eine akademische Karriere entschieden), willigte ich unter der Bedingung ein, dass wir einander auf Deutsch schrieben.
    Ich setzte die Schnecke wieder ab. Hinter den schwarzen Balken der Bäume bewegte sich etwas. Eine menschliche Gestalt unterbrach die lotrechte Regularität der Pappeln, jemand mit vorgebeugtem Gang und langen Beinen, die nie so ganz eine Einheit mit dem restlichen Körper bildeten.
    Es war Stagg, der ungeduldig über die mit Zweigen übersäte Lauberde stapfte. Ich sah ein, zwei Minuten zu, wie er im Kreis durch den Wald stiefelte, wobei er wiederholt hinter Bäumen verschwand. Er zog mehrmals sein Taschentuch heraus und putzte sich die Nase. Ich wurde ungeduldig, weil ich ihm nicht helfen konnte, und sein Verhalten machte mich etwas verlegen. Doch ich hatte gut reden, wenn es um Verlegenheit ging.
    Ich rief, weil ich ihn nicht erschrecken wollte, und ging dann zu ihm. Er wirkte überhaupt nicht überrascht, mich zu sehen. Wir gingen stumm durch den tropfenden Wald, bis wir an einen großen Teich kamen, der dunkel und still dalag, bis auf einige Tropfen, die aus den Bäumen auf die Wasseroberfläche fielen.
    Es gab einen Steg mit einem Boot. Ich erinnere mich noch daran, wie Stagg sich auf den Steg stellte und das Boot kräftig mit dem Fuß schaukelte, so dass die Ruder klapperten. Kleine Wellen breiteten sich über den Teich aus. Wir warteten, bis das Boot wieder zur Ruhe gekommen war, und kehrten wortlos ins Lager zurück.
    Bei der Rückkehr erfuhr ich, dass die Instrumente von WANTAC endlich angekommen waren. Ich ging sie von den Militärpolizisten bei der Sicherheitspoststelle abholen (alles, was nach Southwick hereinkam oder von dort hinausging, musste untersucht werden, und man musste immer eine Unterschrift leisten). Die Instrumente lagen in einer mit Stroh ausgelegten Metallkiste, auf der mein Name stand. In der Kiste fand ich eine versiegelte Gummitasche, die wohl dieselbe war, die am WANTAC-Schiff von dem Flugzeug mit dem Haken eingesammelt worden war.
    Erwartungsvoll trug ich die Tasche zu meinem Zelt, setzte mich unter dem Fliegennetz in den Schneidersitz und nahm die Instrumente heraus: zwei Barometer und drei Anemometer, alle in glänzendes Messing gefasst. Es war seltsam, sie

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