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Die Geometrie der Wolken

Die Geometrie der Wolken

Titel: Die Geometrie der Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Foden
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Schlaf und zu viel Kaffee.
    Die Blätter, die wir auf dem Tisch ausbreiteten, waren voller Hinweise auf ein Tiefdruckgebiet. »Jetzt kann auch Krick nichts mehr von schönem Wetter erzählen«, sagte Stagg, während wir uns die Karte ansahen.
    Das war leider falsch. Das folgende Telefongespräch ergab wieder das mittlerweile vertraute Hin und Her. Douglas und Petterssen in Dunstable sahen Wolken und starke Winde voraus - stark genug, um den Einsatz von Landungsbooten gefährlich zu machen oder gar in einer Katastrophe enden zu lassen; Krick und seine Kollegen in Widewing ließen aber nicht mit sich handeln. Sie waren sich sicher, dass die Umstände »akzeptabel« sein würden, wie Krick es ausdrückte.
    »Wir müssen doch bloß sicherstellen, dass die Chancen ein bisschen besser stehen als 50:50«, fügte er hinzu.
    »Und was ist, wenn sie nicht besser stehen?«, fragte ich und dachte an unseren Pokerabend.
    »Wenn wir nicht mal das schaffen, werden wir alle zu Gefreiten degradiert.«
    Uns allen ging es schlecht, nicht nur wegen der Meinungsverschiedenheiten, sondern auch wegen der brutalen Zugkraft all der Schiffe und Armeen. Es war, als würde von uns nicht mehr bloß erwartet, dass wir das Wetter vorhersagten, sondern dass wir es
machten,
damit die riesige Masse von Truppen und Maschinen, zu denen - seien wir ehrlich - die Amerikaner den Großteil beigetragen hatten, endlich von ihren Fesseln befreit und auf den Feind losgelassen werden konnte. Kein Wunder, dass alle so gereizt waren, was sicher noch dadurch verstärkt wurde, dass wir alle an schwerem Schlafmangel litten.
    Da Stagg keine Einigung herbeiführen konnte, musste er an diesem Mittag Eisenhower in der Bibliothek von Southwick House erneut eine vermischte Wettervorhersage vorlegen. Während er das tat, ging ich wieder zur RAF-Abteilung, um zu fragen, ob mein Paket von WANTAC schon angekommen war - es sollte vom Flugplatz Portsmouth per Kradmelder geliefert werden. Die stillen Funkwellen strömten durch die Luft; und bald kam die Antwort. Noch nicht angekommen. Der Flug aus Schottland war noch nicht einmal gelandet, wurde ich informiert. Mit frustriert geballten Fäusten ging ich zurück durch Southwicks geschäftige Flure und wünschte mir das Flugzeug herbei.
    Auf dem Weg zurück zur Hütte traf ich Yates, der den Hang herunterging. Er erzählte mir, dass Stagg bei dem Gespräch mit den Generälen am Morgen kurzzeitig der Last der Verantwortung nachgegeben und einfach gar nichts mehr gesagt hatte.
    »Kümmern Sie sich mal um ihn«, sagte der freundliche Amerikaner. »Er hat eine Menge zu tragen. Sie finden ihn oben in der Hütte.«
    Als ich den Raum betrat, sah ich Stagg mit geschlossenen Augen und vor der Brust verschränkten Armen auf dem Boden liegen. Er ähnelte der Grabplastik eines mittelalterlichen Ritters in einer Kirche. Ich hockte mich neben ihn und wollte ihm gerade auf die Schulter tippen, als er die Augen öffnete und den Kopf hob, so dass ich zurückschreckte.
    »Alles in Ordnung«, sagte er und setzte sich auf. »Ich habe nicht geschlafen. Nur nachgedacht.«
    Er atmete mehrmals kurz und heftig ein. Ich half ihm auf die Beine, kochte ihm einen Kaffee und versuchte mit ihm über andere Dinge zu reden - ich glaube, ich erzählte ihm von meiner Kindheit in Afrika -, doch er wollte nichts davon hören und winkte mich düster grinsend aus dem Zimmer.
    In dieser außerordentlich gespannten Atmosphäre nutzte ich die Zeit zwischen zwei Konferenzen für einen Spaziergang, von dem ich mir erhoffte, dass er mir die Angst nahm. Am Hang oberhalb von Portsmouth sah ich einen Hügel, der vollständig mit merkwürdigem Laub bedeckt war. Das sich bewegte, als ich genauer hinsah. Der ganze Hügel wimmelte vor Menschen. Es waren Kommandosoldaten, die wie eine zusammenhängende Masse vorwärtskrochen. Sie trugen Tarnkleidung - »Störmustermaterial«, wie das Militär es offiziell nannte. Als sie sich über den Boden schoben und wanden wie eine Riesenschlange, verwischte das Muster die Grenzen zwischen den einzelnen Männern. Ebenso wurde der Aufbau der einzelnen Körper - die Gliedmaßen und der Rumpf - von dem verwirrenden Muster verschleiert.
    Ich machte mich auf den Rückweg und ging durch den Wald, der Southwick umgab. Als ich auf eine Lichtung kam, setzte ich mich und lehnte mich gegen die weiche, moosbedeckte Oberfläche eines gebrochenen Baumstamms. Ich sah eine Schnecke, die sich mit ausgestreckten Fühlern über einen Stein bewegte und eine

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