Die Geometrie der Wolken
Lehre des Ganzen, die viele einfach nicht verstehen wollen, ist die, dass die Unbeständigkeit einen direkten Einfluss sowohl auf die Vorhersagbarkeit selbst hat, wie auch auf das, was vorhergesagt wird; oder - anders ausgedrückt -: Nicht immer ist alles gleichermaßen vorhersagbar.
Das ist ein Fehler, den Börsenspekulanten oft machen, doch relevant ist er für die gesamte Bandbreite menschlichen Handelns: Wenn unsere Geburt doch schon auf Zufall beruht und auch alles andere so unbeständig ist, warum sollten wir dann erwarten, dass gerade die Vorhersagbarkeit immer dem gleichen Rhythmus folgt? Es ist nichts als ein sanfter, tröstender Traum, dass die Unbilden des Lebens sich so einfach mit demütigem Blick ergeben. Dennoch ist es schwer, ohne solche Illusionen zu leben.
Ich persönlich teilte Kricks und Holzmans Einstellung, dass man offener sein sollte. Es kam wirklich ein Abschnitt von ein, zwei Tagen, in dem akzeptable Bedingungen für die Operation gegeben waren. Die Seewetterberichte der Admiralität stimmten damit überein. Petterssen und Douglas dagegen hegten immer noch Zweifel, doch wäre es eine Verzerrung der Tatsachen, zu behaupten, sie hätten gesagt, »greift Dienstag nicht an«. Ihr Akzent lag nur anders. Sie passten sich den Übrigen an und prognostizierten freie Sicht für Bombereinsätze und »gerade noch« akzeptable Bedingungen an den Stränden. Eigentlich bezogen sich ihre Vorbehalte hauptsächlich auf die weiteren Aussichten nach dem 6. Juni, und darin sollten sie bestätigt werden.
Auf jeden Fall gingen Stagg und Yates zu Eisenhower und sagten ihm, dass ihrer Meinung nach ab dem frühen Dienstagmorgen ein Schönwetterabschnitt zu erwarten sei.
Die Übereinstimmung der Meteorologen festigte sich sogar noch im Laufe des Sonntags, zumindest für eine Weile. Ich selbst verpasste den Augenblick, als zwischen ihnen Frieden herrschte, denn ich wurde von dem Wagen abgeholt, den Yates für mich angefordert hatte.
Ich hatte gerade noch genug Zeit, meine Habseligkeiten zusammenzusuchen und Stagg kurz einige Details über WANTAC zu erklären, die er für mich an den Oberbefehlshaber weitergeben sollte. Im nächsten Moment schon rumpelte ich in einem khakifarbenen Packard nach Newbury, einem der Flugplätze, an dem sich die Luftlandetruppen bereithielten.
Der Himmel verdunkelte sich, es regnete stark, und ein Sturm zog auf - doch ich lächelte die gesamte Fahrt über vor mich hin. Tausende von Männern, deren Leben von unserer Vorhersage abhingen, waren durch die Verschiebung vor einer Katastrophe bewahrt worden. Bald würde an den Stränden der Normandie Windstärke 5 bis 6 erreicht werden und eine tiefe, dichte Wolkendecke aufziehen, die Bomber-, Lastensegler- und Fallschirmeinsätze unmöglich machte. Es hätte eine absolute Katastrophe gegeben; und trotz großer Schwierigkeiten hatten wir eine Wettervorhersage geliefert, die großes Unglück abgewendet hatte.
Im Wagen schwand mein Vertrauen in die WANTAC-Werte etwas, muss ich zugeben. Ob sich der erhoffte Schönwetterabschnitt am Dienstag nun auch wirklich entwickelte, blieb abzuwarten. Und selbst wenn er es tat, waren die Umstände noch weit von den Minimalbedingungen entfernt, die das BIGOT-Dokument vorgab. Außerdem wirbelten auch andere große, unberechenbare Tiefdruckgebiete über den Atlantik. Wenigstens hieß das, dass die Deutschen, die die raue See und den starken Wind im Kanal sahen, ihre Invasionsaufklärung reduzieren würden ...
Wir fuhren entgegengesetzt zum schweren Militärverkehr, der Richtung Süden rollte. Der Sturm warf Regentropfen gegen die Scheiben des Packard, durch die ich in endloser Folge kurze Blicke auf Truppentransporte erhaschte - gesenkte Scheinwerfer, Metallkanten, Tarnnetze. Ich sah einen Panzerkommandanten, der wohl nach dem Grund für den Stau suchte, in dem er steckte. Vom Regen gepeitscht, stand er aufrecht in seinem Turm und lehnte sich von einer Seite auf die andere, um besser zu sehen. Aus den durchnässten Uniformärmeln schauten seine weißen Hände hervor, mit denen er sich am Rand der Luke festhielt.
Yates hatte gesagt, dass er mir einen Platz in einem Lastensegler arrangiert hatte. Der Gedanke gefiel mir nicht unbedingt, aber es war wohl besser, als mein Glück auf einem der Landungsboote zu versuchen. Die Vorstellung zu ertrinken fand ich schrecklich. Manche der armen Schweine müssten von den Landungsbooten Jeeps in anderthalb Meter tiefes Wasser steuern. Ich hatte sie in Portsmouth gesehen,
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