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Die Geometrie der Wolken

Die Geometrie der Wolken

Titel: Die Geometrie der Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Foden
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Europäer sich Afrika aufgezwungen hatten, wenn ich ihn düster oder auch nur melancholisch nannte. Wie meine Familie sich Afrika aufgezwungen hatte. Und auch ich selbst. Wenn man die Welt allein mit dem Maß der Menschen betrachtete, war es genauso wie damals, als wir Cecilia und Gideon das fremde Küchen-Swahili aufzwangen.
    Irgendwie musste ich lernen, die grenzenreiche Welt voller verschiedener Rahmen als eine
ohne
Grenzen,
ohne
Rahmen zu betrachten - sie in der anderen Sprache der Turbulenz zu sehen, fühlen und sprechen, die selbst von Anfang an so vielfältig war. Sie war reich an Perspektiven und weniger anfällig für Vorurteile und Fehler. Könnte diese Erkenntnis einen Platz im Kanon der Naturwissenschaften haben? Die Hoffnung war wohl vergeblich.
    Wissenschaft hat nichts mit »Gefühlen« zu tun. Doch ist sie auf höchstem Niveau nicht allein die reduktive Arbeit, für die sie oft gehalten wird. Große Wissenschaftler lassen sich von Phantasie und Gefühl zu einer Theorie leiten und versuchen dann, sie zu beweisen. Mir wurde in dieser Nacht klar, dass gerade wegen der diskontinuierlichen und veränderlichen Natur der Turbulenz in dieser Leitung durch das Gefühl die Lösung lag. Wir extrapolieren von
unmittelbaren
Verbindungen, müssen aber die Vorstellung
aller
Verbindungen als ideale Einsicht in das Ganze im Auge behalten. Weil wir das Ganze nicht berechnen können, können wir es nur intuitiv erfassen - und nicht die Einzelheiten, sondern den schönen Geist der Idee verfolgen.
    Nachdem mir dieser Gedanke durch den Kopf gerast war, folgten andere, die direkt mit der Methodenvielfalt zusammenhingen, die ich zur Berechnung der Vorhersage brauchte. Ich musste zwischen Rymans, Kricks, Douglas' und Petterssens Arbeitsweisen hin und her wechseln, um den nötigen Perspektivenreichtum zu erlangen. Eigentlich war es das, was wir die ganze Zeit getan hatten, doch hatte keiner versucht, das ganze Hin und Her der Konferenzen gezielt in ein Programm umzuwandeln.
    Begeistert und mit neuer Kraft kehrte ich in die Hütte zurück. Mit schnellen Bewegungen führte meine Hand unter der Schreibtischlampe den Stift über die leeren Blätter. Ich löste eine Berechnung nach der anderen und arbeitete mich methodisch durch die Wetterkarten vom nächsten Tag bis hin zur Prognose für den Dienstag.
    Südlich von Island an der Ostflanke einer gewaltigen Depression im Süden von Grönland befand sich eine kleine Warmluftparzelle, die die Bewegung des vorherrschenden Bodentiefs aufgeworfen hatte. Von dieser Parzelle hatte WANTAC berichtet. Gegen acht Uhr dreißig am nächsten Tag, kalkulierte ich, würde sich die Parzelle im Atlantik zu einem Zwischenhoch von 300 mb entwickeln. Innerhalb einer Stunde würde der Druck auf 500 mb ansteigen. Das Zwischenhoch bewegte sich so schnell Richtung Osten, dass es ab dem frühen Dienstagmorgen den Kanal temporär von dem vorherrschenden schlechten Wetter abschirmen würde. Spät am Montag würde es zu rauer See, Starkregen und Sturmböen kommen, aber dann (wenn ich mir jemals einer Sache sicher war, dann dieser) würde ein invasionsfreundlicher Abschnitt folgen: eine kurze sturmfreie Zeit.
    Wahrscheinlich kann nur ein Mathematiker verstehen, wie plötzlich man manchmal einen solchen Schatz entdeckt. Es ist dann, als hätte man den Schlüssel geschickt umgedreht und als wäre die Truhe aufgesprungen, die wertvollere Dinge enthielt, als man es vorher für möglich gehalten hatte.
    Ich starrte die Lampe an. Dann das Blatt. Wieder die Lampe. Der Faden des elektrischen Lichts glühte wie die Sonne, die einen Bogen des Himmels erfüllt. Das filigrane Muster der schwarzen Zahlen wuchs und breitete sich auf dem Papier aus. Es war, als wären sie die Takelage eines Schiffs, das zur Beweisfahrt Segel setzte, einer Reise, auf der Schiff und Segel sich in die Zukunft bewegten, doch Spieren, Mast und Rahen zurückblieben.
     
    Mein Baum.
    Der blieb am Ufer zurück.
    Mein Gleichungsbaum.
     
    Die Nacht schwand, der Morgen kam, und die Wache wechselte. Morgenlicht strahlte durch das Fenster der Hütte und traf rosenrot auf das Papier. Versprach der Baum Vergebung? Dafür, dass ich Ryman getötet hatte, am Ballon aufgehängt mit schlaffen Armen? Dafür, dass ich Gills Leben zerstört hatte, die jetzt als kinderlose Witwe in Seaview gestrandet war? Dafür, dass ich an Monomanie litt und einer Idee von Veränderung und Wandel verfallen war, die mich hielt wie einen Schmetterling auf einer Nadel?
    Ich konnte

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