Die Geometrie der Wolken
wie oft ich seine ernsthafte, energische Ausstrahlung wahrnahm, während ich mich über den Billardtisch beugte, oder wie oft ich seine Stimme über dem Geräusch der Kugeln hörte, wie sie irgendwelche Theorien über das Blut verkündete.
Ich versuchte, sie zu ignorieren, weil es alles zu verführerisch war. Die Biologie meine ich: Man muss sich manche intellektuellen Betätigungsfelder zu Tabuzonen erklären und sie wie uninteressante Rumpelkammern links liegen lassen.
Andernfalls irrt man durch ein Labyrinth verbundener Höhlen, bis man die Halle des zentralen Mysteriums erreicht. Ein Ort vollendeten Schreckens, an dem es Ordnung gibt, aber keine festen Kriterien für ihre Bewertung; ein Ort, an dem man weiß, mit welchen Mitteln sich das Mysterium darstellen ließe, aber nicht, was es eigentlich ist. Mit diesem Schrecken haben Ryman und andere, berühmtere Denker wohl der Menschheit die Relativität erkauft.
Damals hatte ich keine solchen Ängste. »Ich habe vor, mit Ryman zusammenzuarbeiten«, sagte ich. »Er wohnt in der Nähe. Kennen Sie ihn vielleicht persönlich? Sir Peter Vaward, unser Direktor, sagte, Sie könnten mir da möglicherweise helfen.«
Pykes Augen weiteten sich. »Ryman ... ja, ich weiß, dass er hier in der Gegend wohnt. Der König der Turbulenz! Ich habe mal ein faszinierendes Seminar bei ihm besucht - wir waren zusammen in Cambridge -, aber ich habe ihn nie privat getroffen. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen da viel helfen kann.« Er kniete sich hin und kraulte den Seelöwen hinter den Ohren. »Und außerdem: Ich dachte, Ryman ist Pazifist. Der will doch nichts mit dem Krieg zu tun haben. Warum hat er sich überhaupt bereit erklärt, mit Ihnen zusammenzuarbeiten?«
»Es ist ziemlich kompliziert«, redete ich mich heraus. »Aber wissen Sie, vielleicht brauche ich selbst bald Ihre Hilfe«, sagte Pyke. »Bei einem strömungsmechanischen Problem ...«
»Hat es mit Seelöwen zu tun?«, fragte ich verwirrt.
Pyke lachte. »Nein, ein anderes Projekt. Lev arbeitet bei jedem Wetter.«
Das Tier öffnete das Maul und zeigte ein furchteinflößendes Gebiss. »Er kann bei sehr schwachem Licht sehen, deshalb kann er sehr tief tauchen.« Skeptisch sah ich dem Seelöwen in die milchigen Augen.
»Unten in Devon gibt es ein anderes Team, das Delphine trainiert«, setzte Pyke fort. »Bei Ilfracombe. Denen wird beigebracht, Werkzeuge zu Tauchern zu transportieren. Für hydrodynamische Forschung benutzen sie sie auch. Sie wollen die Leistung von Torpedos verbessern. Lev hier soll einmal Haftminen an Schiffen finden und als Wache gegen Taucherangriffe arbeiten.« Wieder fand ich, dass Pyke ziemlich offen redete.
Der Seelöwe brüllte, als wollte er seinem Herrchen zustimmen. Auf so kurze Distanz ging es einem durch Mark und Bein, und bei dem Atem des Tieres wollte man es nicht gerade küssen. Aber wenn er mit den tibetischen Ohren wackelte, war jede Spur von Bedrohlichkeit verschwunden.
»Wirf ihm noch einen Hering hin, Julius«, sagte Pyke.
Der andere kam der Aufforderung nach. »Mensch und Tier in perfektem Einklang«, sagte er beim Werfen.
»Julius ist Idealist«, merkte Pyke an. »Aber dann und wann steht er doch mit beiden Füßen auf der Erde. Er entschlüsselt die Struktur von Hämoglobin durch Kristallographie. Das Geheimnis des Lebens liegt darin versteckt, nicht wahr, Julius?«
Brecher zog eine Fratze und zuckte mit den Schultern.
»Im Blut?«, hakte ich nach.
»Im Blut«, antwortete Brecher. »Und in anderen Proteinen. In Zellen allgemein. Nach dem Krieg wird die Wissenschaft dieses Geheimnis noch weiter entschlüsseln müssen. Wir werden wie Entdecker auf der Suche nach einem neuen Kontinent sein.«
»Er ist wirklich inspirierend, nicht wahr?«, sagte Pyke und klopfte Brecher auf die Schultern. »Ich frage ihn immer wieder, ob er nicht der Experimentellen Abteilung beitreten möchte, aber er will einfach nicht. Warum kommst du nicht mit mir nach Kanada, Julius, und arbeitest mit an Habbakuk?«
»Habbakuk?«, fragte ich.
»Ah, tut mir leid, mein Freund, das ist das andere Projekt. Ich darf im Moment nicht viel darüber erzählen. Aber wie gesagt brauchen wir vielleicht einen Fluiddynamik-Experten. Ich denke an Sie, denn es gibt anscheinend nicht allzu viele Leute, die sich damit auskennen.«
Plötzlich brüllte Lev wieder. Er stieß sich mit allen vier Flossen ab und sprang mit großem Platschen ins Wasser. Zum Abschied drehte er uns noch einmal den Kopf zu und verschwand. Ich fragte
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