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Die Geometrie der Wolken

Die Geometrie der Wolken

Titel: Die Geometrie der Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Foden
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einem Geräusch in der Ferne wie von einem Wasserfall. Dann fing eins der Einmachgläser meiner Mutter auf dem Regal im Ferienhaus an zu zittern, bevor es auf den Steinboden fiel und zerschellte. Ich merkte, dass mit dem Licht etwas nicht stimmte, das durchs Fenster hereinfiel.
    Meine Eltern waren beide draußen im Garten. Meine Mutter arbeitete in einem ihrer Blumenbeete: Sie liebte eine Blume namens Ixia, die weiße Blütenblätter mit einem kräftigen dunkelvioletten Streifen in der Mitte hatte. Sie roch süß, besonders am Abend. Nicht weit von dort, wo sie mit der Pflanzkelle in der Hand kniete, saß mein Vater, die Haare mit Brillantine zurückgestrichen, die Pfeife im Mund, und inspizierte auf einem wackeligen alten Tisch seine Bücher.
    Wahrscheinlich lag Vickers zusammengerollt neben dem Tisch, bis er den Kopf hob. So lag er meistens da und stand ab und zu auf, um sich in der Sonne zu strecken, so dass mein Vater hinunterreichen und ihm den eigentümlichen Fellstreifen auf dem Rückgrat kraulen konnte, der gegen den Strich des restlichen Fells verlief und der Rasse ihren Namen gab.
    »Unser Prachtbursche«, sagte mein Vater immer, wenn er ihm so mit der Hand über den Rücken fuhr.
    Ich starrte das zerbrochene Glas an, rannte nach draußen und wich sofort wieder zurück in die Steinnische der Veranda, als ich die riesige Wand aus Schlamm sah, die den Berghang herunterraste. Sie verdunkelte das Tageslicht, sie donnerte einfach auf uns zu und nichts - gar nichts! - konnte sie aufhalten. Ich sah zu, wie meine Eltern fünf Meter von mir entfernt plötzlich in der Schlammlawine gefangen waren, meine Mutter immer noch auf den Knien vor ihren Ixien und mein Vater, der seinen Stuhl beim plötzlichen Aufstehen umwarf. Sie hatten keine Chance, zu mir zu kommen, sosehr sie es auch versuchten. Ein Stück der Hausmauer ging neben mir zu Boden, und ich fand mich mehr oder weniger damit ab, in der Lawine zu sterben.
    Aber ich überlebte. Ich sah zu, wie meine Eltern darin ertranken: Eine halbe Million Tonnen Lehm und Wasser schössen an jenem Tag den Zomba herab, nachdem sie sich während der Sturzflut eines Flusses aus einer gerodeten Holzplantage gelöst hatten. Flüssiger Schlamm, dicker, felsiger Schlamm, der den Hang herunter und über Menschen floss wie Schokolade. Ihre Haut und Haare überzog und ihre Lungen füllte.
    Niemand will sich an so etwas erinnern - wie die eigenen Eltern sich aufbäumen wie angebundene Pferde, während sie versuchen, dich zu erreichen -, und ich habe dieses Ereignis tief in meiner Erinnerung vergraben. So tief, dass ich manchmal davon überzeugt bin, es in Wirklichkeit gar nicht gesehen zu haben, dass ich vielmehr in Ohnmacht fiel und mir das Ganze später nur vorgestellt habe. Ich habe keine Ahnung, was mit Vickers passierte: Ich weiß, dass ich ihn vorher bellen hörte, und ich weiß, dass er meinem Vater zu Füßen saß, das war zumindest immer so; aber es gab keine Spur mehr von ihm, kein Geräusch. Nur noch Schlamm.
    Was überprüfbare Fakten angeht, weiß ich nicht mal, wie ich gerettet wurde, nur dass ich von den Kolonialbehörden in ein Waisenhaus in Kapstadt gebracht wurde. Dann nahm mich ein Cousin meiner Mutter unter seine Fittiche und bezahlte meine weitere Ausbildung an der Douai School in Berkshire und später in Cambridge.
    Laminare Strömung und turbulente Strömung, ich hatte in einem einzelnen schrecklichen Ereignis die gleichmäßige, vorhersagbare Geradlinigkeit der einen und die viskose, unberechenbare Entwicklung der anderen gesehen. Ich hatte auch die Schwierigkeiten erfahren, die mit dem Blickwinkel des Beobachters zusammenhängen: der raumzeitliche Standpunkt, der gemeinsam mit den beiden Arten von Strömung den Kern der Strömungslehre bildet.
    Außer im unmittelbarsten Sinne des schmerzlichen persönlichen Verlustes hatte ich allerdings nicht die volle menschliche Dimension verstanden: dass das Ereignis meine Wahrnehmung von - und Beziehung zu - anderen verzerrte. Dass es mich in dieses introvertierte, eigenbrötlerische Wesen verwandelte, in diese starrsinnige, abgestumpfte, lockige Gestalt, die ich jetzt von der Seite im Spiegel meiner Kabine auf der
Habbakuk
ansehe, während ich den Blick vom Papier hebe.
    Natürlich sind meine Haare heute nicht mehr schwarz, sondern weiß. Auch das leere Papier ist wie ein Spiegel, wie mir jetzt auffällt. Aber ein beschlagener Spiegel, als würde der Fluss menschlicher Gedanken kondensieren, wenn man versucht, ihn in Worte

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