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Die Geometrie der Wolken

Die Geometrie der Wolken

Titel: Die Geometrie der Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Foden
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absonderlichen Gedanken aus dem Kopf zu treiben, doch dann zog ihr üppiger Körper meine Aufmerksamkeit auf sich, während sie dem Geistlichen zuhörte. Sie trug eine grüne Strickjacke, einen Tweedrock und eine weiße Bluse mit einem goldenen Anstecker über der linken Brust. Die Aufmachung war viel zu schlicht, um verführerisch zu sein, redete ich mir ein, aber ihre Jugend machte das mehr als wett. Mir fiel auf, dass sie gut zwanzig Jahre jünger war als ihr Mann. So ein Altersunterschied war damals üblicher als heute, aber ich fragte mich damals trotzdem, wie sie wohl zueinandergefunden hatten.
    »Ich kann Ihnen leider keinen Sherry anbieten«, sagte Ryman. »Wir sind Abstinenzler. Vielleicht einen Apfelsaft?«
    Ich bedankte mich und lächelte Mrs Ryman an, als sie mit dem anderen Gast zu mir herüberkam. Bis auf den Kragen war der Pfarrer schwarz gekleidet.
    »Pfarrer Grant, das hier ist Henry Meadows«, stellte sie mich vor. »Unser junger Mann im Feld. Er arbeitet für das Meteorological Office.«
    »Im Feld ist wörtlich zu verstehen«, sagte ich und gab ihm die Hand. »Wir haben einen kleinen Wetterbeobachtungsposten auf der Weide nebenan eingerichtet.«
    »Welch ein Glück Sie haben, direkt unter den Augen eines Titanen Ihrer Wissenschaft zu arbeiten«, merkte Grant an. Er hatte ein rötliches Gesicht und feuchte Augen. Ich nehme an, dass er den Sherry weit mehr vermisste als ich.
    Um amüsant das Eis zu brechen, erzählte ich die Geschichte von Pyke, Brecher und dem Seelöwen.
    »Wie raffiniert, einen Seehund abzurichten«, kommentierte Grant, als ich fertig war.
    »Einen Seelöwen«, korrigierte Ryman kühl. Ich hatte den Eindruck, dass er Grant nicht mochte. »Die haben doch hoffentlich nicht vor, die Tiere für Angriffsmissionen zu verwenden?«, fragte er mich. »Menschen sind vielleicht dumm und herzlos genug, sich gegenseitig zu töten, aber man braucht doch nicht auch noch unschuldige Tiere mit hineinzuziehen.«
    »Ich glaube nicht, dass Angriffe geplant sind«, antwortete ich. »Sie sollen Minen aufspüren. Mr Pyke hat gesagt, Seelöwen könnten bei sehr schwachem Licht sehen und bis zweihundert Meter tief tauchen. Ihr Potential ist enorm.«
    »Das Wort >Potential< sollte nur im streng wissenschaftlichen Sinne verwendet werden«, sagte Ryman. Er hielt inne und wirkte selbstzufrieden. »In allen anderen Fällen ist es irreführend.«
    Vielleicht hatte er recht. Auf jeden Fall wollte ich keine weiteren Reibungspunkte schaffen. »Mr Pyke würde Ihnen sicher gefallen, Professor«, merkte ich an. »Er ist wirklich brillant. Er erwähnte, dass er mit Ihnen in Cambridge war.«
    Ryman wirkte skeptisch, aber ich blieb hartnäckig. »Und Julius Brecher hat einige faszinierende Entdeckungen in der Struktur des Blutes gemacht. Er hat das Hämoglobin entschlüsselt. Es ist medizinisch sehr wichtig, wurde mir gesagt.«
    Ich plapperte eigentlich nur nach, was Brecher mir auf dem Weg zum Pub erzählt hatte. Ich wusste kaum, wovon ich sprach - eigentlich überhaupt nicht -, aber Sir Peter hatte gesagt, dass dieser Auftrag einiges an Gerissenheit erfordern würde. Wenn ich mit Täuschung arbeiten musste, würde die große Bedeutung für den Krieg es schon moralisch rechtfertigen.
    Die List funktionierte. »Erzählen Sie mir mehr«, forderte Ryman plötzlich interessiert.
    »Jedes rote Blutkörperchen enthält circa sechshundertvierzig Hämoglobinmoleküle. Häm besteht aus zweiwertigem Eisen, wie Sie sicher wissen. Brecher hat entdeckt, dass ein Tetramer von Globinketten sich immer mit einer eigenen Hämgruppe verbindet.«
    »Faszinierend«, sagte Ryman, sein sonst so schwermütiges Gesicht strahlte interessiert. »Sprechen Sie weiter.«
    »Das Hämoglobinmolekül hat die Aufgabe, auf seinem Weg durch den Körper Sauerstoff zu transportieren. Bei einer Lebenszeit von einhundertzwanzig Tagen soll es insgesamt eine Strecke von fünfhundert Kilometern zurücklegen.«
    »Hat er auch den Rhesusfaktor erwähnt?«, fragte Mrs Ryman zu meiner Überraschung. Aus irgendeinem Grund war ich nicht davon ausgegangen, dass sie das wissenschaftliche Interesse ihres Mannes teilte. Meine Gedanken kamen plötzlich wieder auf etwas, was Brecher über Inkompatibilitäten der Blutgruppen von Mutter und Kind gesagt hatte.
    »Gill!«, ermahnte Ryman sie sanft. Sie sah demütig in ihr Apfelsaftglas.
    »Ja, er erwähnte so was«, tastete ich mich vor.
    Es gab eine kurze Pause. Dann fragte Mrs Ryman: »Wo arbeitet Mr Brecher?«
    »Im Moment

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