Die Geometrie der Wolken
MELDEN.
Ich sprang jubelnd vom Tisch auf und warf in meiner Freude die unechte Marmelade um. »Ich habe eine Stelle«, rief ich der Hausherrin zu. »Ich fahre heute ab.«
»Meinetwegen. Aber vergessen Sie ja nicht, Ihre Miete zu bezahlen«, erwiderte sie mit saurem Gesicht.
Als ich mich wieder beruhigt und das Marmeladenglas gerettet hatte, beendete ich gut gelaunt mein Frühstück und war mir sicher, dass sich vor mir endlich der richtige Weg durch den dichten Wald des Lebens erstreckte. Ich beglich meine Rechnung bei der Wirtin und ging nach oben, um zu packen.
Als ich - meinem Tagebuch nach am 7. Mai 1944 - mit der Bahn von Waterloo nach Teddington und von dort mit dem Bus zum Bushey Park fuhr, war es ein wenig, als würde ich heimkehren. Vor dem Krieg hatte ich in Richmond gewohnt, weil es praktisch für meine Arbeit am Kew Observatory war. Diese Heimat erkannte ich allerdings kaum wieder. Südengland war voll von Soldaten und Ausrüstung. Alles war khakifarben. Die Züge waren überfüllt mit Soldaten, und auf den Straßen stauten sich Konvois mit Panzern, Landungsbooten und endlosen Reihen von Lastwagen mit Abdeckplanen auf dem Weg zur Küste.
Der Bus musste fast eine Stunde lang warten, während vor uns ein Transporter mit einem riesenhaften Betonblock - später fand ich heraus, es war ein Teil eines der künstlichen »Mullberry«-Häfen - um eine Ecke manövrierte. Die vielen wartenden Fahrer schrien und hupten wie wild durcheinander.
Dann löste sich der Stau, und wir fuhren weiter durch einen grünen Bogengang aus Bäumen über der Straße. Für mich war er wie ein Tunnel, der zwei Teile meines Lebens verband. Denn hier entschloss ich mich, das Trinken aufzugeben, das in letzter Zeit zu sehr überhandgenommen hatte, und mich wirklich meiner Arbeit zu widmen.
Endlich kam ich am Bushey Park an. Ein Teil der Anlage war von einer hohen Mauer umgeben, der Rest mit Zäunen abgegrenzt. Das Tor wurde von amerikanischen Militärpolizisten mit weißen Helmen und grimmigen Gesichtern bewacht. Als sie meine Papiere prüften, dachte ich wieder an Stagg. Zu mir war er immer sehr gut gewesen, als ich in Kew unter ihm gearbeitet hatte, aber andere fanden ihn schwierig und reizbar. Dieser Ruf prägte später die allgemeine Meinung über ihn, doch verstand niemand wirklich, unter welchem Druck dieser Mann stand. Als ich nach Bushey Park kam, hatte er schon seit Monaten an der Wettervorhersage für die Invasion gearbeitet.
Ich kam spät an einem Sonntagnachmittag an, was man bei dem Hochbetrieb dort aber nicht glauben mochte. Es war gar nicht so einfach, durch die ganzen Sicherheitsabsperrungen zu kommen, aber nach mehreren Anrufen der »Schneebälle« (ein gängiger Spitzname für die Militärpolizisten mit den weißen Helmen) wurde ich zum meteorologischen Büro des SHAEF eskortiert.
Der Weg war ziemlich weit, und ich wurde von einer Welle hektischer Aktivität mitgetragen, während ich einem der Militärpolizisten zwischen den Behelfsbauten - Nissenhütten, Betonlagerhäuser, Truppenküchen und -Unterkünfte in Zelten und Schuppen mit Blechdach - hindurch folgte. Offiziere und Mannschaften, Briten und Amerikaner aller Streitkräfte hasteten mit Papieren und Akten unter dem Arm hierhin und dorthin. Die Atmosphäre glich einer Schule am Tag vor einer sehr wichtigen Prüfung.
Die Met-Abteilung war im Hauptgebäude untergebracht, einem langen, niedrigen Gebäude - wie eine viel größere Version meiner Kate in Schottland, nur aus Betonblöcken gebaut, nicht aus Stein -, das mit einem Tarnnetz bedeckt war. Staggs Büro befand sich direkt neben dem Kartenraum, dem strategischen Herzen der Invasion. Ich glaubte kurz, General Eisenhower zu sehen, war mir aber nicht sicher.
Der Militärpolizist klopfte an die Tür.
3.
Stagg duckte sich unter dem Türrahmen hindurch. Er trug die schieferblaue Uniform eines Group Captain der RAF und begrüßte mich mit einem müden Lächeln. »Guten Tag, Meadows. Wie geht es Ihnen?«
»Es ging schon mal besser«, erwiderte ich, als der Militärpolizist uns verließ.
»Ja. Das kann ich verstehen. Sir Peter hat mir alles von der schrecklichen Geschichte in Schottland erzählt. Ryman war ein großer Mann, aber es ist verständlich, dass so etwas passiert.«
»Meinen Sie?«, fragte ich unsicher. Plötzlich wurde mir klar, dass meine Rolle bei Rymans Tod mittlerweile sicher zum Allgemeinwissen in der Meteorologenszene gehörte.
»Ja, im Krieg muss man mit so etwas rechnen. Auf
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