Die Geometrie der Wolken
Muster entwickeln sich nicht identisch; und weiter als zwei Tage kann man nichts voraussagen. Allerhöchstens drei.«
»Genau«, sagte Stagg. »So sieht es Charles Douglas auch. Er spricht sich scharf gegen alles über zwei Tagen aus. Das hat er in Dunstable quasi zum Gesetz erhoben, wie Sie sicher aus Ihrer Zeit dort bei ihm wissen. Möchten Sie einen Tee?«
Stagg stand wieder auf und entfaltete seine langen Glieder wie eine Gottesanbeterin auf einem Blatt. »Gerne.«
Er betätigte den Schalter eines elektrischen Wasserkochers. »Ein Geschenk der Amerikaner«, erklärte er.
Ich erinnerte mich daran, wie Douglas um einen Tisch rannte und seine Jackettschöße dabei flatterten. Es muss der heutzutage vielzitierte Stress gewesen sein, der ihn das tun ließ, sowie der Flugzeugabsturz während seiner Kampfpilotenausbildung. Dass er nach dem Absturz noch fünfmal verwundet wurde, wird ebenfalls nicht dienlich gewesen sein.
Wie Stagg hatte Douglas ein schmales Gesicht und trug einen Schnurrbart. Damals hatten überhaupt viele Leute einen Schnurrbart. Er war für mich ein Mann von außerordentlicher Begabung und großartigem Urteilsvermögen, und viele sehen ihn auch heute noch als den bedeutendsten praktischen britischen Meteorologen des Jahrhunderts, während Ryman für die Theorie als Nummer eins gilt. Douglas war immer sehr bedacht und vorsichtig. Meist ging er von den aktuellen Wetterdaten aus und wandte dann historische Entwicklungen und Wettertheorie darauf an, wobei ihm gesunder Menschenverstand immer mehr bedeutete als eine bestimmte Philosophie.
»Douglas wendet weder strenggläubig die Vergangenheit an wie Krick, noch verlässt er sich blind auf die Theorie wie Petterssen«, setzte Stagg fort und streute losen Tee in eine Kanne. »Er lässt in seinem System einen gewissen Freiraum für seine Intuition, genug, um die Dinge zurechtzurücken, und von der Theorie nimmt er nur das, wovon er selbst überzeugt ist.«
All das entsprach meinen eigenen Erfahrungen mit Douglas. »Deshalb höre ich auf ihn am ehesten, auch wenn er stammelt und stottert und manchmal große Schwierigkeiten hat, sich verständlich zu machen«, setzte Stagg fort. »Die Komplexität jeder gegebenen Situation ist ihm bewusst, denn er hat mehr Erfahrung mit der Wechselhaftigkeit des britischen Sommerwetters als alle anderen. Er neigt nicht so sehr dazu, einfach alles auf eine Karte zu setzen, so wie Krick. Wenn man es so sagen will. Und der Norweger hält sich anscheinend einfach für unfehlbar.« »Sie meinen Petterssen?«
»Sverre Petterssen, genau. Den werden Sie bald kennenlernen. Der Dritte im Team. Ein Theoretiker, Experte für die obere Atmosphäre. Angehöriger der Bergener Schule, hat eine Zeitlang in Amerika gearbeitet. Frontenbewegungen, Folgerungen aus der Beschaffenheit der oberen Luftschichten ...«
Staggs müde Stimme verstummte langsam. Mit traurigen Augen starrte er in die Dampfschlieren, die aus dem Wasserkocher aufstiegen.
»Ich kenne mich jetzt besser mit dem Einfluss der oberen Atmosphäre auf die Erdoberfläche aus«, sagte ich hilfsbereit. »Ryman hat viel auf diesem Gebiet gearbeitet.«
»Tatsächlich?«, erwiderte Stagg nachdenklich. »Schade, dass er nicht hier bei uns ist, denn oft verstehe ich kein Wort von Petterssens Gerede. Es wäre toll, wenn jemand seine Behauptungen überprüfen könnte, die sich so anhören, als würden sie sich auf Millionen von Datensätzen stützen. In Wirklichkeit arbeitet er aber mit völlig neuen Methoden. Und seine Angewohnheit, einem immer wieder von seinen vergangenen Erfolgen zu erzählen, geht allen ziemlich auf die Nerven. Am meisten merkt man das bei Krick. Für den ist es das Schönste, wenn Petterssens Prognosen sich als falsch herausstellen.«
Er nahm zum dritten Mal die Brille ab und rieb sich diesmal mit den Handflächen die Wangen wie jemand, der sich mit dem Lappen das Gesicht wäscht.
»Sie haben mit denen wohl alle Hände voll zu tun.«
»Ja. Krick und Petterssen sind nicht einfach unter einen Hut zu bekommen. Die beiden vertreten unumstößlich Meinungen, die für sich logisch wirken, sich gegenseitig aber völlig ausschließen. Ich bekomme die beiden kaum dazu, sich auf die Tageszeit zu einigen, ganz zu schweigen vom Wetter der nächsten Woche. Ach, und es gibt noch ein anderes Team. Wolfe und Hogben, Seemeteorologen bei der Admiralität in London. Kennen sich sehr gut mit Seegang und den tieferen Luftschichten aus, wie man sich denken kann. Die beiden sind
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