Die gepluenderte Republik
das stets als Begründung für unvorstellbare Steuerzahlergeschenke gerade an die größten Banken herhalten muss? Motto: »To big to fall«.
Unsere Kanzlerin lehnt am 4. Juni 2009 auf einer Wahlkampfveranstaltung Steuergeschenke für die krisengeschüttelte Karstadt-Mutter Arcandor ab: »Wir geben denen Hilfe, die gut gewirtschaftet haben und durch die Krise unverschuldet in Not geraten sind«, sagte sie. »Aber wenn ein Unternehmen schon im vorigen Juli in Schwierigkeiten geraten war, dann kann man heute nicht sagen, die Schwierigkeiten kommen aus der Finanzkrise.« Arcandor müsse »erst mal versuchen, sich selber zu helfen«. 53
Wie aber sieht die gängige Praxis aus?
»Die Bundesregierung hat zur Rettung einer Bank, der Industrie Kredit Bank (IKB), die maßlos schlecht gewirtschaftet hat und verschuldet in Not geriet, fast 10 Milliarden gezahlt«, kritisiert Neoliberalismusforscher Albrecht Müller. »Sie hat der HRE, deren Management ebenfalls miserabel gewirtschaftet hatte, im September ungeprüft (!) 35 Milliarden und später dann über 100 Mrd. zur Verfügung gestellt; sie hat sich an der Commerzbank sogar beteiligt und für einen 25-Prozent-Anteil 18,2 Milliarden bezahlt, weil sich das Management bei der Übernahme der Dresdner Bank verhoben hatte.« Sein Fazit: »Das Wort ›systemrelevant‹ steht vermutlich für die teuerste Irreführung.« 54
Zu der Frage, was »systemrelevant« bedeutet, sagte Bundesfinanzstaatssekretär Jörg Asmussen, das werde von Fall zu Fall entschieden (!). 55 So bezeichnen sich Opel und selbst Infineon als systemrelevant. Und Horst Seehofer hält auch die Bauern für systemrelevant. 56
Hermannus Pfeiffer nimmt im
Freitag
in einer lesenswerten Analyse »die Mär vom Dominoeffekt« unter die Lupe: »Die Infrastruktur ›Finanzdienstleistungen‹ könnte mit einigen Banken weniger weiterhin reibungslos funktionieren.« Dies gelte auch für die HRE. Mit ihr verschwände zwar eine der größten Pfandbriefanstalten vom Markt. Diese Art Anleihen mache etwa eine Viertel aller Wertpapiere hierzulande aus. Doch seien sie, da sie mit Hypotheken großzügig abgesichert sind, auch ohne die Hypo Real Estate wertvoll. Trotz existenzieller Krisen einiger Pfandbriefbanken sei bis jetzt noch nie ein Pfandbrief geplatzt. Ein gerichtlich eingesetzter Sachwalter könne notfalls dafür sorgen, dass Sparer und Anleger ihr Geld zurückbekämen. Die wenigen unbesicherten Schuldner, vor allem Versicherungen, würden dagegen Geld verlieren. Gerade für solche Fälle hätten aber Konzerne wie die Allianz ihre Kapitalanlagen breit gestreut. HRE-Ausfälle wären für diese Unternehmen zu verkraften. Ein Dominoeffekt, der andere Banken mitreiße, sei also »nicht wirklich zu fürchten. Einer Bank, die durch die Pleite einer anderen Bank pleiteginge, gehörte ohnehin die Lizenz entzogen.« Sein Resümee: »Der Staat kann Banken pleitegehen lassen – ohne größeren Schaden für das System. Es bliebe mehr Spielraum für Investitionen.« 57
Benjamin von Stuck-Barre schreibt dazu in der
Welt
: »Je mehr man über Zustand und Geschäftsgebaren dieser als ›systemrelevant‹ bezeichneten Bank erfährt, desto leichter wird es … Hasardeuren gemacht, schwupps ›das System‹ ganz grundsätzlich infrage zu stellen – wenn es von solch einem Sauhaufen wie der HRE-Bank abhängt, wie gut kann es dann sein, das System?« 58
In ähnlicher Weise wirft der Soziologe Dieter Korczak die Frage auf: »Die Hypo Real Estate ist eine Bank mit nachweisbar schlechten Leistungen, die mittlerweile mit 100 Milliarden Steuergeldern gestützt wird, weil sie angeblich eine systemrelevanteBank ist. Ohne hier darauf eingehen zu wollen, was es heißt, eine systemrelevante Bank zu sein, und was das für ein System ist, das sich eine solche Bank leistet und diese Bank nicht pleitegehen lassen kann, stellt sich dennoch die Frage, war um 3,5 Millionen überschuldete Haushalte nicht so systemrelevant sind, dass sie in gleicher Weise gestützt und gerettet werden?« 59
»Systemrelevanz für kriminelle Finanzpraktiken?«, fragt Werner Rügemer. Angeblich müssten die Banken gerettet werden, weil sie »systemische Bedeutung« hätten. Sonst würde die Volkswirtschaft zusammenbrechen. Dies allerdings sei »billiges Schauermärchen«, um die »unwissend gehaltenen Gewerkschaften« und die Bevölkerung zu erpressen. In Wahrheit seien »90 Prozent aller Finanzgeschäfte in der neoliberalen Praxis reine Interbanken-Geschäfte, Wetten wie etwa
Weitere Kostenlose Bücher