Die gepluenderte Republik
außerplanmäßiger Jura-Professor an der Universität Leipzig.
Besonders häufig äußert er sich öffentlich zum demographischen Wandel und dessen Folgen für die umlagefinanzierten sozialen Sicherungssysteme. Er plädiert für die Umwandlung der lohnbezogenen gesetzlichen Rente in eine allgemeine, steuerfinanzierte Grundsicherung im Alter, die durch private Vorsorge zu ergänzen ist.
Miegels Vorschläge zielen darauf ab, »die tradierte Arbeitnehmergesellschaft zu überwinden und eine eigenverantwortliche Bürgergesellschaft aufzubauen« 97 . Für den Ökonomen Albrecht Müller ist Miegel nur ein Beispiel für die Verflechtung von Politik, Wissenschaft und Versicherungswirtschaft: »Die gesetzliche Rente wird gezielt geschwächt, um die Menschen in die Arme der Privatvorsorge zu treiben: Wenn es der Privatvorsorge, den Versicherungskonzernen gelingt, nur zehn Prozent der Beiträge, die heute in die gesetzliche Rente gehen, herüberzuholen und auf ihre Mühlen zu lenken, dann ist das ein Umsatzzuwachs von 15 bis 16 Milliarden Euro jedes Jahr.« 98 Kein Wunder also, dass Miegel von der Initiative Neue Soziale Markwirtschaft begeistert gefeiert wird. 99
Auch Miegel ist ein Verfechter von Privatisierung und Turbokapitalismus, jenes Systems also, das die schwerste Wirtschaftskrise der letzten Jahrzehnte ausgelöst hat und historisch erledigt scheint. Dass Miegel, als wäre nichts geschehen, unbeirrbar an seinen neoliberalen Ideen festhält, kann man eigentlich schon als sehr mutig bezeichnen. Was er allerdings in Talkshows zu suchen hat, ist eine andere Frage.
5. Hans-Werner Sinn,
geboren am 7. März 1948 in Brake (Westfalen), ist seit 1984 Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität. Er war zwei Jahre lang Professor an der University of Western Ontario in Kanada, außerdem Gastprofessor an der London School of Economics sowie an den Universitäten Bergen, Stanford, Princeton und Jerusalem und seit 1988 Honorarprofessor an der Universität Wien. Seit Februar 1999 ist er Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Zudem sitzt er für den Freistaat Bayern als Mitglied im Aufsichtsrat der HypoVereinsbank. 1999 erhält er das Bundesverdienstkreuz (am Bande).
Laut einer Umfrage der
Financial Times Deutschland
zusammen mit dem Verein für Sozialpolitik unter 550 deutschen Wirtschaftsexperten im Jahr 2006 schrieben die Befragten »nur zwei Vertretern der eigenen Zunft nennenswerten Einfluss auf die Politik [zu]: Bert Rürup und Hans-Werner Sinn. 100
Nach einer Untersuchung im Jahre 2007 rangierte Sinn, gemessen an der Anzahl der Zitierungen in wirtschaftswissenschaftlichen Fachzeitschriften, auf dem zweiten Platz unter den deutschen Ökonomen nach Reinhard Selten. 101
Als er im Oktober 2008 die Managerkritik mit der Judenverfolgung gleichsetzt, ist die Empörung groß. Stellvertretend fürSinns Kritiker sagte die evangelische Landesbischöfin Margot Käßmann: »Die Juden waren die Opfer, bei den Banken wird zu Recht nach Verantwortlichen gefragt. Es ist unverantwortlich, da irgendeinen Vergleich zu ziehen.« Und der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, meinte sarkastisch: »Mir wäre neu, dass Manager geschlagen, ermordet oder ins Konzentrationslager gesperrt würden.« Mit seinen »völlig abstrusen Thesen« gebe der Ifo-Chef auch jenen recht, die seit Wochen behaupteten, die Juden hätten die Schuld für die gegenwärtige Finanzkrise. Damit schüre Sinn den bestehenden Antisemitismus und die Vorurteile gegenüber Juden. 102
Sinns Wirtschaftskonzept stammt für Frank Lübberding von der
Zeit
»aus der Mottenkiste« und folgt dem 1832 verstorbenen Ökonomen Jean-Baptiste Say: Demnach schafft die Produktion von Gütern genau die Nachfrage, die dem Angebot entspricht. Voraussetzung seien Konkurrenz und flexible Preise. »Ent sprechend fällt Sinns Therapievorschlag für den Arbeitsmarkt aus. Zwischen Menschen und Äpfeln gebe es, ökonomisch ge sehen, keinen Unterschied, Güter- und Arbeitsmärkte seien also gleich zu behandeln. Das Stichwort lautet Wettbewerbsfähigkeit.« Würden die Arbeitnehmer ihre Arbeitskraft zum jeweiligen Marktpreis verkaufen, fänden sie immer einen Arbeitsplatz – allerdings nur unter zwei Bedingungen: 1. Flexibilität der Löhne nach unten und 2. keine Mindestlöhne. Leider werde die Anwendung des Sayschen Theorems von zwei Seiten verhindert: von den Gewerkschaften und vom
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