Die gepluenderte Republik
können: »Es ist relativ einfach ex post, wenn immer irgendwo ein Fachhochschulprofessor aus Lüneburg sagt, er hat schon im Jahr 2002 über Immobilienmärkte geschrieben, dass das irgendwie gefährlich sein könnte.« 92
Dass die damalige Bundesregierung gerade denen vertraut, die durch Wort und Tat die Krise oder zumindest deren Schärfe mit verursacht haben, wurde deutlich an der Teilnehmerliste des Krisengipfels vom 14. Dezember 2008, bei dem es um ein»gemeinsames Verständnis von Tiefe und Dauer der Krise« ging.
Dies fängt schon an bei der Regierung selbst: Bei Kanzleramtsminister Thomas de Maizière, Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier, Finanzminister Peer Steinbrück, Arbeitsminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Michael Glos handelt es sich ausnahmslos um Anhänger eher neoliberalen Gedankenguts. Gleiches gilt für Arbeitsagenturleiter Frank-Jürgen Weise, Bun desbankboss Axel Weber und KfW-Chef Ulrich Schröder.
Erst recht trifft dies zu für die Präsidenten der wichtigsten Wirtschaftsverbände: Jürgen Thumann vom BDI, Ludwig Georg Braun vom DIHK, Otto Kentzler vom Handwerksverband ZDH, Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, Anton Börner vom Groß- und Außenhandelsverband BGA, Rolf-Peter Hoenen vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, Josef Sanktjohanser vom Einzelhandelsverband HDE, Klaus-Peter Müller vom Bankenverband und Uwe Fröhlich vom Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken.
Als »Konjunkturexperten« dabei waren Bert Rürup vom Sachverständigenrat, Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft und Klaus Zimmermann (DIW), außerdem die Unternehmenschefs René Obermann von der Deutschen Telekom, Wolfgang Reitzle von Linde und Franz Fehrenbach von Bosch. Star des Treffens aber war der obligatorische Josef Ackermann.
Die Deutschen wären nichts, aber auch gar nichts ohne ihre Experten. Dies setzt selbstverständlich voraus, dass sich niemand so ohne weiteres »Experte« nennen darf. Vielmehr muss er seine Fähigkeiten zuvor urbi et orbi, Krethi und Plethi – also Land und Leuten – eindeutig, unbestreitbar und ein für alle Mal nachgewiesen haben. So sollte ein Finanzminister ein abgebrochenes Lehrerstudium, ein Lehrer eine Vorstrafe wegen Kindesmisshandlung und eine Kanzlerin eine Agitprop-Ausbildungbei der Menschenrechtsorganisation FDJ vorzuweisen haben. So dürfen bei uns Wohnviertel nur von Architekten konzipiert werden, denen zuvor schon etliche Wohnviertel komplett eingestürzt sind, und der Weg aus der Wirtschaftskrise wird ausschließlich denen überlassen, die noch vor kurzem diese Wirtschaftskrise für unmöglich und für Hetzpropaganda stalinistischer Staatsfeinde gehalten haben.
Diese »Analysten« (zu Deutsch: Blindschleichen) sagten zum Beispiel Ende 2007 für Ende 2008 einen DAX-Durchschnittskurs von 8641 Punkten voraus, was gegenüber den tatsächlichen 4779 Punkten einer branchenüblichen Fehlerquote von nicht einmal 50 Prozent entspricht.
Eine derartig exakte Prognose erscheint dem einfachen Volk wie eine göttliche prophetische Gabe oder wie copperfieldeske Zauberei. Und tatsächlich schwören die fünf Naseweisen, wie die Tippgemeinschaft der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung meist genannt wird, auf eine kloßbrühenklare Glaskugel mit exakt 9,999 kg Durchmesser, während das Institut für Profitforschung in Baden-Baden ein mechanisches Modell bevorzugt, mit dem schon der Gewinn der Fußball-WM 2006 durch Pakistan vorhergesagt werden konnte: Gemeint ist das analoge Tischrücken. Durch diese bereits 207 vor Christus patentierte Methode erwarten die Experten mit einer Wahrscheinlichkeit von 101,7 Prozent den nächsten Aufschwung für den Zeitraum vom 3. Mai 2010, 14.53,871 Uhr MEZ bis zum 8. September 3065, 47.11,110 Uhr UTC.
Aber ob nun konventionelle Methoden oder die von Regierungsberatern, Hedgefondsmanagern und Konzernchefs bevorzugte Tarot-Analyse: Bei den Eliten des Landes ist Deutschlands Volkswirtschaft in besten Händen. Und schließlich rückt schon allein nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung mit jedem billionenschweren Fehlversuch der Augenblick näher, da diePechsträhne reißt. Vertrauen wir also weiter den Rürupern, Unsinns und Kirchhofgängern als den Hüthern wahrer Kompetenz. Und wenn alles nichts hilft, können wir uns ja immer noch kneifen und hoffen, dass alles nur ein neoliberaler Traum war.
Was aber bedeutet
neoliberal?
Dass die meisten Normalbürger ein
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