Die gepluenderte Republik
erst in den Sinn kommen.
Aber die Schwarzmalerei verfängt nicht. »Es ist Krise, aber die meisten Deutschen gehen nicht hin«, konstatiert Olaf Preuß vom
Hamburger Abendblatt
im Juni 2009. 112 Hier ist allerdings genau zu unterscheiden zwischen den Aussichten der Wirtschaft und denen der Menschen. Einerseits halten die Leute das Wehklagen der Konzerne für zielgerichtete Übertreibung, um noch mehr Steuergelder zu erpressen. Andererseits ist es an gesichts eines Rückgangs der Bruttolöhne im Jahre 2009 um 0,4 Prozent, von knapp vier Millionen Arbeitslosen, rund 1,1 Millionen Kurzarbeitern und etwa 6,5 Millionen Menschen, die trotz teilweise guter Ausbildung bei höchstens 9,62 Euro pro Stunde Bezahlung als Niedriglöhner gelten, demagogisches Wunschdenken, mehr als einer gutsituierten Minderheit einen allgemeinen Lebensoptimismus anzudichten, der die Krise Krise sein lässt: »Doch was tun die Menschen im Land?«, fragt Springer-Schreiber Preuß und antwortet in Verwechslung der Normalbürger mit privilegierten Schickeria-Schreibern: »Sie füllen die Biergärten, sobald die Sonne scheint, sie genießen in ihrer Freizeit einen bislang überwiegend prächtigen Frühling. Sie kaufen ein wie immer.« Tun das außer den Redakteuren des
Hamburger Abendblatts
auch die Normalbürger, von den sozial Schwächeren ganz zu schweigen?
»Wohin aber ist die Angst der Deutschen verschwunden?«, fragtPreuß. »Jene tiefe Verunsicherung und Fortschrittsfeindlichkeit, jene Furcht und Skepsis vor der Zukunft, die sich immer wieder in quälenden Debatten über die nahende Apokalypse Bahn brach, die Angst vor Atomkrieg, Waldsterben und Klimawandel, vor teurem Benzin, Massenarbeitslosigkeit, Rinderwahn und Vogelgrippe? Jene Schwarzmalerei, die so charakteristisch für die Deutschen zu sein schien, dass der angelsächsische Sprachraum den Begriff als ›German Angst‹ gleich übernahm?« 113 Dümmer geht’s nimmer, denn die meisten der angesprochenen Angstgründe sind real: Klimawandel, Waldsterben und Massenarbeitslosigkeit zu ignorieren ist nicht »optimistisch«, sondern idiotisch.
Pünktlich zu den Wahlen allerdings kam die erwartete kollektive Kehrtwende. Die Staatskassen waren geplündert, die Steuergelder sicher auf den Konten der Banken, Konzerne und Superreichen gelandet. Nun war Bürgerbesänftigung angesagt und somit »Optimismus erste Ökonomenpflicht«, wie Claus Hulverscheidt in der
Süddeutschen Zeitung
anmerkt. »Seit dem Ende der Sommerpause ist praktisch kein Tag ins Land gegangen, an dem nicht irgendein Wirtschaftsforscher seine Konjunkturprognose angehoben hätte. Die Teilnehmer dieses neuerlichen Rennens hoffen nicht zuletzt auf eine ordentliche Schlagzeile, schließlich gehören neben den Ökonomen auch Journalisten – verhaltensbiologisch betrachtet – zu den Herdentieren.« 114
Und entsprechend schnell verflogen war auch das geheuchelte schlechte Gewissen der Verantwortlichen. »Die Büßerhemden, die der eine oder andere Manager zwischenzeitlich in nett inszenierter Demut übergezogen hatte«, stellt Franz Walter fest, »hängen längst alle wieder weit hinten im Kleiderschrank.« 115
TEIL V
Ausplünderung
Die Heuchelei ist ein privilegiertes Laster, das mit seiner eigenen Hand aller Welt den Mund verschließt und in Ruhe seine Straflosigkeit genießt.
Molière
1. Heuchelei als Prinzip
Auch wenn sich der Finanzkrise kein Staat wirklich entziehen kann, so bleibt doch die Frage nach den Wegbereitern des Turbokapitalismus. Und die sieht Harald Schumann vom
Tagesspiegel
vor allem in den Sozialdemokraten, denen er im Hinblick auf »linke« Forderungen »Heuchelei als Prinzip« bescheinigt:
Tatsächlich wurde der Spitzensteuersatz von 53 Prozent in der Kohl-Ära auf 42 Prozent gesenkt. »Dann verschenkten sie mit der Minderung der Körperschaftsteuer auf nur noch 15 Prozent zweistellige Milliardenbeträge jährlich an Kapitalgesellschaften aller Art.« Im Jahre 2003 wurden die Hedgefonds legalisiert. »Anschließend beteiligte sich die SPD, die so gern die Chancengerechtigkeit predigt, mit der Abschaffung der Erbschaftsteuer auf Betriebsvermögen zum Frohlocken des Geldadels an der garantierten Steuerfreiheit des Reichtums per Geburtsrecht.« Damit aber noch nicht genug: »Zu allem Überfluss setzte ausgerechnet der amtierende SPD-Finanzminister durch, dass private Kapitalgewinne jeder Art nur noch pauschal mit 25 Prozent besteuert werden. Ausgerechnet jene Einkommen also,die durch die Arbeit
Weitere Kostenlose Bücher