Die gepluenderte Republik
anderer erwirtschaftet werden und im Gegensatz zu den Löhnen in den ersten sieben Jahren dieses Jahrzehnts um 30 Prozent zulegten, ausgerechnet diese ›leistungslosen‹ Einnahmen der Vermögenden, wie sie Sozialdemokraten früher nannten, unterliegen nur noch einer Billigsteuer.« 116
Den finanziellen Gesamtschaden dieser Politik für das Gemeinwesen kann man durchaus im vierstelligen Milliardenbereich verorten. Und auch hier – überflüssig zu sagen – sollen die Steuergeschenke für die Reichen vom Volk finanziert werden: Ein Liter Milch nämlich kostet für eine Alleinerziehende genauso viel wie für einen Milliardär. Sozialstaat ade: Starke Schultern tragen mehr? Mann, wo kommen Sie denn her? Deshalb ist es kein Wunder, wenn der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ab 2011 gleich auf 25 Prozent vorschlägt – zum Schuldenabbau und zur Senkung der »Lohnnebenkosten«, also des Unternehmeranteils am Sozialstaat.
Die Überlegung dabei, dass viele wenig zahlen wollen statt wenige viel, erinnert an den Vorschlag: Wenn mir jeder der Bundesbürger nur 50 Cent zahlt, tut das dem Einzelnen nicht weh, und ich habe 40 Millionen.
2. Die Mär vom Übel der Staatsverschuldung
Die Tiefe der Krise lässt sich auch an den Haushaltszahlen ablesen: So erzielten die Kommunen im Jahre 2008 noch einen Überschuss von 7,6 Milliarden Euro, 2009 wurde daraus ein Defizit von drei Milliarden, für 2010 wird mit elf Milliarden Euro gerechnet.
Die Länder hatten 2008 insgesamt ein Minus von gerade noch 400 Millionen Euro. Für die Zukunft rechnet man mit 30 Milliarden Euro jährlich.
Schuldenstand der Bundesländer je Einwohner in Euro im März 2009 117
Bremen
22 047
Berlin
16 321
Hamburg
11 808
Saarland
9554
Sachsen-Anhalt
8611
Schleswig-Holstein
8426
Brandenburg
6984
Thüringen
6805
Niedersachsen
6376
Nordrhein-Westfalen
6369
Rheinland-Pfalz
6299
Mecklenburg-Vorpommern
5826
Hessen
4922
Baden-Württemberg
3991
Sachsen
2192
Bayern
1972
Der Bund erwartet nach dem Defizit von 48 Milliarden in 2009 86 Milliarden in 2010. »Der Staat macht Schulden wie noch nie«, jammert das
Hamburger Abendblatt
am 8. Juli 2009. Tatsächlich sind die 5009 Milliarden Euro, die sich Bund, Länder und Kommunen voraussichtlich bis zum Jahr 2013 leihen müssen, kein Pappenstiel. Daher rechnet man schon im Frühjahr 2009 mit Steuererhöhungen nach der Bundestagswahl.
Umso amüsanter, wenn auch nicht unerwartet, ist die Forderung des FDP-nahen Bundes der Steuerzahler (die die FDP in den Koa litionsgesprächen nach der Bundestagswahl prompt aufgreift) nach Senkung natürlich vor allem der Einkommenssteuer.Schließlich kassiere der Staat 2009 durch Steuern und Sozialabgaben 53,3 Prozent des Einkommens der Bürger. Daher ruft man den 14. Juli zum »Steuerzahler-Gedenktag« aus. Ab 8 Uhr 40 könne der Bürger endlich für sich selbst arbeiten.
Akzeptiert man diesen Humbug spaßeshalber als seriös, so sei daran erinnert, dass jene 53,3 Prozent und mehr vor allem für die Mega-Verdiener fällig werden, für die niedrigen und mittleren Lohngruppen ganz sicher nicht. Aber davon abgesehen, sind gewisse simple Gemüter stets dafür, möglichst wenig zu zahlen. Aber dieselben Leute, die sich über einen Steuernachlass freuen, ärgern sich dann über den Verfall der Infrastruktur, von kaum noch befahrbaren Straßen über heruntergekommene Schulen, Unis und Kindergärten bis hin zu öffentlichem Nahverkehr wie in der Nachkriegszeit.
Ein weiteres Meisterstück neoliberaler Demagogie ist die Schuldenuhr, die im Internet und an der Zentrale des Steuerzahlerbundes in Berlin dem naiven Bürger anzeigt, wie die Staatsschulden sekündlich immer größer werden. Ende 2009 liegen sie bei über 1,7 Billionen Euro. Dies wiederum entspreche »in etwa den öffentlichen Ausgaben für Schulen und Hochschulen. Ohne unseren Schuldenberg könnten die öffentlichen Ausgaben für die Bildung doppelt so hoch sein.« 118 Wie aber wollte man auf die Schnelle den Schuldenberg auf null bringen? Vielleicht durch Privatisierung der Bundeswehr, der Polizei oder des Bundesverfassungsgerichts?
Als sich der Bundestag Ende Mai 2009 für eine Schuldenbremse im Grundgesetz ausspricht – wonach das Defizit des Bundes von 2016 an 0,35 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Leistung oder aktuell zehn Milliarden Euro nicht mehr überschreiten darf –, ist der Jubel bei den Reichen und Neoliberalen groß: Schließlich
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