Die gepluenderte Republik
am eigenen Leibe spürt.
Und was wäre spürbarer als die Explosion seiner Krankenkassenbeiträge oder gar die rasante Verschlechterung der medizinischen Versorgung? Wer ständig mehr aus eigener Tasche zahlen muss und wer die notwendige Herzoperation oder Nierentransplantation für die kleine Tochter als für ihn unbezahlbar und somit als Privileg der Reichen sinnlich erfährt, der stimmt dem polemischen Satz »Weil du arm bist, musst du früher sterben« zu.
Einer Lobbyisten-Gang wie der FDP können derlei Fragen des Volkes wurscht sein, einer (Noch-)Volkspartei wie der CSU dagegenkeineswegs. Die Partei befindet sich also – mehr noch als alle anderen Parteien – in einem Spagat zwischen der aktiven Mitwirkung an der Umverteilung von Arm und Mittel nach Reich und der halbwegs glaubwürdigen Vertretung der Interessen derer, von denen sie ja schließlich wieder gewählt werden will. Ohne eine glaubwürdige und den Umständen entsprechend humane Gesundheitspolitik dürfte dies kaum gelingen.
Opfer Mittelschicht?
Unverbesserliche neoliberale Wortführer wie etwa der Wirtschaftschef der
Süddeutschen Zeitung
, Marc Beise, sehen als am meisten ausgeplünderte Bevölkerungsgruppe die Mittelschicht. So richtig es ist, dass diese Gruppe die steuerliche Hauptlast trägt: Aber Ärzte, Apotheker, Anwälte, Architekten, Zahnärzte, Lehrer, Professoren oder Boutique-Betreiber sieht man eben recht selten bei einer Armenspeisung (»Tafel«). Wie der Name
Mittelschicht
schon sagt, handelt es sich nicht um die Ärmsten der Armen. »Es ist aber vor allem nicht gerecht, dass die Armen keine Steuern zahlen«, schreibt Beise, »aber die Mittelschicht alles schultern muss.« 162 Das mag ja so sein; aber wieso greift man dann nach der Radfahrerdevise »Nach oben buckeln, nach unten treten« die Ärmsten der Armen an, anstatt sich an die Superreichen heranzuwagen? Wieso hört man aus den genannten Berufsgruppen sehr oft die Forderung nach einer weiteren Absenkung der Hartz-IV-Sätze oder weiteren Senkungen der Einkommensteuer möglichst auf null, aber die Anregung für angemessene Steuern auf Erbschaft und Vermögen für die Superreichen eher selten? Der Textilunternehmer Wolfgang Grupp
(Trigema)
zeigt, dass es auch anders geht. Er bekennt sich ohne Umschweife zu einer echten Reichensteuer: »Wenn unser Land nach vorne gebracht werden soll, müssen wir eine Vorbildfunktion übernehmen.« 163
Ganz anders verhält es sich mit den angestellten Mittelschichtlern, den Sekretärinnen und Supermarktkassierern, Krankenschwestern und Automechanikern, Erzieherinnen und Installateuren. Ihnen werden Lohnsteuer und Sozialabgaben automatisch vom Brutto abgezogen, und sie erhalten oft genug nicht mehr als die Hälfte ihres Ursprungsgehalts ausgezahlt, und sie können auch anders als Selbständige eher wenige Steuertricks anwenden. Für viele von ihnen war auch der verfassungswidrige vorübergehende Wegfall der Kilometerpauschale ein schwerer Schlag. Nur ist es eben nicht der verhasste Staat, der sie letztendlich ausplündert, sondern es sind diejenigen Wohlhabenden, die sich davon ihre Steuergeschenke finanzieren lassen.
Dass es auch selbsternannten Mittelschichtparteien nicht um diese tatsächlich belasteten kleinen Leute geht, ergibt sich schon aus der Tatsache, dass sich zum Beispiel die FDP seit 1994 als die »Partei der Besserverdiener« bezeichnet, auch wenn sie das vor Wahlen aus taktischen Gründen zuweilen zurücknimmt.
Plünderkomplize Gewerkschaft
Um die Frage zu klären, ob die Gewerkschaften wirklich auf der Seite ihrer Mitglieder stehen und nicht vielmehr die Arbeitnehmer im Interesse des Konzerns zu allen möglichen Eingeständnissen zu bewegen versuchen, genügen zwei klassische, beliebig auswechselbare Beispiele:
Im Mai 2008 wechselt der damalige Chef der DGB-Gewerkschaft
Transnet,
Norbert Hansen, in den Personalvorstand der Bahn. Unmittelbar zuvor hatte er im Lokführerstreik den Bahn-Vorstand gegen die eigenen Kollegen unterstützt. Die Quittung: Rund tausend Kollegen traten aus der Gewerkschaft aus. Und selbst FDP-Verkehrsexperte Horst Friedrich meinte: »Der Posten als Personalchef ist die Belohnung für die entgegenkommendeHaltung, die Herr Hansen bisher gegenüber der Bahn eingenommen hat.« Auch
Welt Online
ist sich sicher, »dass Mehdorn ohne den Chef der größten Bahngewerkschaft seine Privatisierungspläne nicht hätte verwirklichen können« 164 .
Im Januar 2007 wird der frühere VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz vom
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