Die geprügelte Generation
Rundumversorgung gab es bei der Oma. Obwohl die etwa 100 Kilometer entfernt lebte. Sie hat so einen Spaß an dem Kind gehabt, ist durch meine Tochter wieder jung geworden. Ihr ist bewusst, dass sie das gut gemacht hat.«
Inzwischen ist Monikas Mutter 80 Jahre alt. Mittlerweile kann Monika auch ihre guten Seiten sehen. »Sie hatte immer ihre Kompetenz, nur früher nicht zu meinen Gunsten. Sie ist eine unglaublich praktische Frau. Bei meinen tausend Umzügen kam die immer, rapzap war alles eingepackt. Die hat auf einem Bügelbrett eine Küche improvisiert, für alle gekocht. Da war man atemlos. Sie hat wirklich eine unglaublich praktische Intelligenz. Noch heute. Die zaubert immer was. Letztes Wochenende ist sie mir allerdings wieder unheimlich auf den Geist gegangen. Da kamen dann so Gedanken hoch: Warum soll ich mich eigentlich so doll um diese alte Frau kümmern, wo die mich doch lange Zeit meines Lebens fertig gemacht hat? Na ja, und dann tu ich es doch. Wenn sie schwer krank werden würde, jetzt im Alter, dann würde ich sie vielleicht sogar pflegen. Nicht gerne, aber ich würde es tun.Da bin ich sehr ambivalent. Manchmal verspüre ich zu ihr eine gewisse Nähe. Aber ich passe immer auf, dass ich da nicht wieder in irgendwas rein gerate, wo sie mich verletzen könnte. Noch heute reicht es aus, dass sie eine Bemerkung macht, und plätsch, bin ich wieder fix und fertig. So eine Bemerkung wie die: Also wie sieht es denn bei Dir wieder aus? Das lernst Du ja nie! Ja, mit der Schnüss warste immer schon vorne dran!«
3. Kapitel
MIT ZUCKERBROT UND PEITSCHE
Einblick in die Schwarze Pädagogik
Sie sieht gut aus, jung geblieben, attraktiv, fit. Ihre Augen hat sie hinter einer großen, dunkel getönten Brille versteckt. An einem Oktoberabend des Jahres 2010 ist die Wiener Kammersängerin Renate Holm abends auf WDR3 in der Talkrunde »Kölner Treff« zu Gast. Im Gespräch mit der Moderatorin Bettina Böttinger plaudert die fast 80-Jährige über ihre Kindheit. Zunächst darüber, wie sie nach Ende des Zweiten Weltkriegs Schlager gesungen hatte, »in einem Studio aufgenommen, so groß wie jetzt mein Schlafzimmer«. Damals schon wollte sie unbedingt Opernsängerin werden. Dieser Wunsch ging in Erfüllung. Drei Jahrzehnte lang sang Renate Holm an der Wiener Staatsoper, zeitweilig unter Herbert von Karajan. Ein immenser Erfolg, den sie auf die Disziplin zurückführt, die ihr die Mutter durch Ohrfeigen und Strenge einbleute. Ohrfeigen, die Renate Holm in der Fernseh-Talkrunde mit den Worten umschreibt: »Es gab schon mal eine rechts und links.«
»Die Strenge meiner Mutter hat mir den Weg geebnet«, kommentiert sie die Watschen. Ihre Mutter wiederum habe ihr Pflichtbewusstsein vom eigenen Vater, dem Generalfeldmarschall von Bülow, einem soldatischen Preußen. Sie sei der Mutter durchaus dankbar, dass sie sie so erzogen habe, nämlich sehr autoritär. »Damit bin ich aufgewachsen.« Nachdenklich räumt sie im Verlauf des TV-Abends allerdings ein, dass sie eine solche Erziehung doch nicht gern an jemand anderem praktizieren würde.
Der Liebling aller Regisseure
Je länger die alte Dame, für die das hohe F ihr Leben lang ein ganz normaler Ton war, je länger Renate Holm vor laufender Kamera so vordergründig leicht und locker über ihre Kindheit plauderte,umso nachdenklicher wurde ich zu Hause vor dem Fernseher. Mich erstaunte vor allem, mit welcher Selbstverständlichkeit sie die negativen Auswirkungen ihrer Erziehung auf ihr späteres Leben offenbar akzeptiert hatte. Klaglos und ohne aufzumucken. »Ich habe mein Leben lang gehorcht. Die Regisseure haben mich geliebt. Ich habe nie widersprochen, war immer devot und habe immer 200 Prozent meiner Pflicht erfüllt.« Eine Aussage, die mich diese Frau in einem ganz anderen Licht als dem von Glamour und Erfolg sehen ließ. Als ein kleines geprügeltes, eingeschüchtertes Mädchen, das diese angstgeprägte Haltung nie mehr los geworden ist.
Dieser Eindruck wurde durch Renate Holm im weiteren Verlauf der Talkshow noch verstärkt. Fast nebenbei schilderte sie, welche Probleme sie später als Erwachsene hatte. Zum Beispiel mit Freiheit, mit der sie so gar nicht umgehen konnte, wo doch früher die Mutter immer alles entschieden habe. Und genießen, nein, das könne sie auch heute noch nicht. Das habe sie einfach nicht gelernt. Irgendwann im Verlauf der Diskussion schob sie noch leise nach: »Ich wäre auch ohne [links und rechts] ausgekommen.«
Das wäre sie sicherlich, denke ich
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