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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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denen, die Kinder zu erziehen hatten, riet, ihr Hauptaugenmerk auf »die Vertreibung des Eigensinns und der Bosheit« mit der Rute zu richten. »Diese ersten Jahre haben unter andern auch den Vorteil, dass man da Gewalt und Zwang brauchen kann«, so Sulzer. »Die Kinder vergessen mit den Jahren alles, was ihnen in der ersten Kindheit begegnet ist«, erinnern sich später nicht mehr daran, »dass sie einen Willen gehabt haben, und die Schärfe, die man wird brauchen müssen, hat auch eben deswegen keine schlimmen Folgen«. 11 Dem widersprach 200 Jahre später ganz entschieden die Schweizer Psychoanalytikerin Alice Miller in ihrem Buch »Am Anfang war Erziehung« und schrieb: »Das Gegenteil ist der Fall: Juristen, Politiker, Psychiater, Ärzte und Gefängniswärter haben beruflich gerade mit diesen schlimmen Folgen ein Leben lang zu tun.« 12
    Doch um derlei Folgen scherte man sich lange nicht. In Erziehungshandbüchern des 18. und 19. Jahrhunderts wird Eltern empfohlen, Kinder zu öffentlichen Hinrichtungen mitzunehmen, damit sie nicht verweichlichten. Kalte Bäder sollten der Abschreckung dienen, Schnallen und Gurte, mit denen die Kinder an Stühlen und in Rückenlage im Bett festgezurrt wurden, der aufrechten Haltung. Vor allem Daniel Gottlieb Moritz Schreber hatte sich Mitte des 19. Jahrhunderts einen Namen durch äußerst fragwürdige Erziehungsmethoden gemacht. Seine Erziehungsbücher, deren Ratschläge er zuvor an seinen eigenen fünf Kindern ausprobiert hatte, wurden Bestseller, bis zu vierzig Mal aufgelegt und in mehrere Sprachen übersetzt. Schreber lehrte seine Kinder, ihn als eine geradezu gottähnliche Gestalt zu verehren und zufürchten. Er malträtierte sie durch diverse mechanische Geräte, fesselte sie, zwängte sie in ein Gestell, das die Kinder mittels Riemen und Stahlfedern zu einem kerzengeraden Gang zwang. Ließ diese Geräte herstellen und verkaufen. Prügel wurden bei ihm schon zur Disziplinierung des Säuglings eingesetzt, denn: »Eine solche Prozedur ist nur ein- oder höchstens zweimal nötig, und – man ist Herr des Kindes für immer.« 13
    Von derart eingezwängten Kindern war kein Aufstand zu erwarten. Deshalb verwundert es auch nicht, dass in manchen Gegenden bis ins 19. Jahrhundert ein sogenanntes Rutenfest gefeiert wurde. Aus Anlass dieses Festes sammelten Lehrer und Schüler bei fröhlichem Gesang und Tanz gemeinsam ihren Jahresvorrat an Ruten, mit dem die Kinder in den kommenden zwölf Monaten gezüchtigt werden sollten. Ein Fest, das bei mir das Bild eines zum Scheiterhaufen verurteilten Delinquenten heraufbeschwört, der das Reisig für die Flammen freiwillig im Wald sammeln geht.
    Das Material, dass der US-Psychologe Lloyd deMause in seinem Buch »Hört ihr die Kinder weinen« zusammengetragen hat, führte ihn zu dem Resümee, dass ein großer Prozentsatz der vor dem 18. Jahrhundert geborenen Kinder »geschlagene Kinder« gewesen seien – im kolonialen Amerika ebenso wie in Italien zur Zeit der Renaissance. Von über zweihundert Büchern mit Ratschlägen zur Kindererziehung vor dem achtzehnten Jahrhundert, die er untersuchte, »billigten die meisten das schwere Schlagen von Kindern und alle das Schlagen von Kindern unter verschiedenen Umständen.« Die Erziehungsratgeber richteten sich an Väter und Lehrer, Mütter wurden darin gar nicht erst erwähnt. »Zu den Instrumenten, mit denen geschlagen wurde, gehörten«, so deMause, »Peitschen der verschiedensten Art, darunter Klopfpeitschen, Schaufeln, Rohrstöcke, Eisen- und Holzstangen, Rutenbündel, die ›discipline‹ (eine Peitsche aus kleinen Ketten) und spezielle Instrumente für die Schule wie die ›flapper‹, die ein birnenförmiges Ende mit einem runden Loch hatte und brennende Schmerzen hervorrief.«
    Lloyd deMause beschreibt diese üble Art mit Kindern umzugehen als schichtenunabhängig. Als Beweis hierfür erwähnt er den jungen Ludwig XIII., dessen Vater bei Tisch immer eine Peitsche neben sich deponiert hielt. Schon im Säuglingsalter machte der Dauphin erstmals Bekanntschaft mit diesem Folterinstrument und lernte bald schon, dass er tunlichst nicht schreien solle, wenn ihm die Peitsche drohte. Als er gerade mal zwei Jahre alt war, wurde er morgens routinemäßig ausgepeitscht. Selbst an dem Tag, an dem der Achtjährige zum König gekrönt werden sollte, erhielt er seine morgendliche Tracht Prügel mit der Peitsche. Überliefert ist, dass er hierzu gesagt haben soll: »Ich würde auf so viel Huldigung und Ehre gern

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