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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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der Ablehnung. Der Anstaltspfarrer hat ihn, als er bei ihm anklingelte, »schlicht aus seiner Wohnung geworfen«. Irgendwann erfuhr er, dass der Psychiater, dem er die Einstufung als »lebensunwertes Leben« verdankte, 1953 wegen seiner Mitwirkung am Euthanasie-Programm vom Landgericht Münster »wegen erwiesener Unschuld« freigesprochen worden war. Das Schwurgericht war, wie damals durchaus üblich, einem psychologischen Gutachten gefolgt, wonach dieser Psychiater für die Zeit seiner Taten einem »Irrtum über das Erlaubtsein seines Handelns« erlegen sei.
    Für Paul Brune war mit der Rettung seines Lebens die stumpfsinnige Heimzeit allerdings längst nicht zu Ende. Weitere zehn Jahre verbrachte der Junge, bei dem später bei psychologischen Tests eine überdurchschnittliche Intelligenz nachgewiesen wurde, hinter den dicken Mauern der Niedermarsberger »Anstalt für geisteskranke und geistesschwache Kinder«. Dort blieb auch nach 1945 alles beim Alten. Manch ein Kind, daran erinnert sich Brune genau, starb an den ihm durch Pfleger und Aufseherinnen zugefügten Verletzungen, an Tritten, Schlägen, Knebeln, durch Eintauchen in kochendes Wasser. Die Bilder der zerlumpten Gestalten, die all dies überlebten, bringen Paul Brune noch heute manche Nacht um den Schlaf. Dann sieht er sie wieder, diese Kinder mit ihren »hängenden Schultern, gekrümmten Rücken, apathischen Gesichtern, stumpfsinnigen Augen. Wir waren deprimierende Gestalten, denen das Interesse an der Welt ausgetrieben wurde.«
    Rau und demütigend ging es zu
    Bis in die 70er Jahre hinein waren die Erziehungsmethoden in deutschen Kinderheimen »rau und demütigend«, so der Erziehungswissenschaftler Wolfram Schäfer, der im August 2009 in einem Interview mit der ZEIT (Die ZEIT Online) forderte, dass diese Praktiken »als Menschenrechtsverletzungen, als Ausdruck einer ›schwarzen‹, menschenverachtenden Pädagogik deutlich werden.« Seiner Meinung nach haben Jugendämter und Vormünder hier versagt. »Naheliegend ist, dass auch in den Jugendämtern Menschenbild vorherrschte, das diese Kinder und Jugendlichen als ›minderwertig‹ ansah. Bis in die 60er Jahre waren wissenschaftliche Positionen und Meinungen vertreten und einflussreich, die Heimkinder als ›sozialbiologisch unterwertiges Menschenmaterial‹ bezeichneten.«
    Wolfram Schäfer ist aufgrund seiner Recherchen zu dem Schluss gekommen, dass die sogenannte »Fürsorgeerziehung« nach dem Zusammenbruch des Naziregimes beinahe genauso weiterging wie zuvor. »Erb- und rassenbiologische Untersuchungen an Fürsorgezöglingen aus der NS-Zeit dienten nach 1945 für führende Jugendpsychiater dazu, weiterhin eine ›Sonderbehandlung‹ in ›Bewahrungsanstalten‹ zu fordern«. 37 Die erbbiologisch begründete Forderung nach der ›Aussonderung Unerziehbarer‹ aus der Fürsorgeerziehung war von den führenden Vertretern der deutschen Jugendpsychiatrie bruchlos aus der Weimarer Republik über die NS-Diktatur in die Bundesrepublik tradiert worden. Die Auswirkungen auf die Gestaltung der Heimerziehung in der jungen Demokratie waren«, so Schäfer in dem ZEIT-Interview, »bekanntermaßen fatal.«
    Dass sich hieran etwas geändert hat, liegt nach Schäfers Ansicht ganz wesentlich an der Studentenbewegung. Sie initiierte Aktionen wie die sogenannte »Staffelberg-Kampagne«, die die Freilassung von Fürsorgezöglingen aus geschlossenen Heimen forderte, »woraufhin 30 Zöglinge aus dem Heim Staffelberg inHessen nach Frankfurt flohen. Oder ›Bambule‹, eine Sendung von Ulrike Meinhof über ein Berliner Kinderheim. Sie machte öffentlich, welche Zustände in den Heimen herrschten.«
    Doch für Paul Brune änderte sich zunächst nichts. Obwohl es nicht gelungen war, ihm das Interesse an der Welt auszutreiben. Nach mehreren Fluchtversuchen, zeitweiliger Arbeit als Knecht bei einem Bauern, einem Selbstmordversuch mit dem Pflanzenschutzmittel E 605 kam er zunächst in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie in Münster, in den sogenannten »Schutthaufen«. Diesmal hatte man ihm »ruck zuck«, so seine Worte, einen Wasserkopf attestiert. Auch dort wehrte er sich. Dagegen, dass ihm ein Mitpatient seine Rotze ins Gesicht pustete, ein anderer ihn mit Kot beschmierte. Prompt bekam er die Quittung: Er störe den Frieden der Abteilung, zeige keine »Krankheitseinsicht«, sei einfach paranoid. Inzwischen war er 18 Jahre alt. Konnte Gedichte wie Goethes Erlkönig auswendig. Rezitierte in seiner verlangsamten Sprache

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