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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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200   000 Fälle jährlich, meist in den Südstaaten. Geprügelt werden vor allem schwarze Kinder, so die Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und American Civil Liberties Union (ACLU).
    Das texanische Städtchen Temple scheint sich hier ganz besonders hervorzutun. Diese neben dem Militärstützpunkt Fort Hood gelegene Ortschaft hat einem Bericht der Frankfurter Rundschau zufolge jüngst in Schulen sogar wieder die Züchtigung mit dem »Paddle« eingeführt, einem flachen Holzflegel. »Drei Schläge auf den Allerwertesten setzt es bei Disziplinarverstößen jetzt in Temple«, so Autor Dieter Ostermann in der FR (19.   04.   2010). Die Schulbehörde hat das Paddle auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern reaktiviert und ist überzeugt: »Seither haben wir viel weniger Probleme.« Dagegen steht eine Studie der Tulane University in New Orleans, wonach jedes zweite Kind, das im Alter von drei Jahren mehrmals pro Monat geschlagen wird, mit fünf Jahren aggressiver ist als Altersgenossen, denen dies erspart bleibt. Im Kongress in Washington befasste sich deshalb schon ein Ausschuss mit den Züchtigungen an Schulen. Die Vorsitzende will derlei Handgreiflichkeiten per Gesetz landesweit verbieten. Schließlich habe man, heißt es von dort, sogar in den Gefängnissen die Prügelstrafe abgeschafft.

11. Kapitel
HEIMKINDER WAREN »EIN NICHTS UND EIN NIEMAND«
    Eine überraschende Entschuldigung
    Um Paul Brune hat sein Lebtag lang kein Hahn gekräht. Dieses Gefühl von Verlassensein haben ihm die Nonnen des Waisenhauses im westfälischen Lippstadt ebenso wie die braunen Nazischwestern der »Anstalt für geisteskranke und geistesschwache Kinder« im sauerländischen Niedermarsberg immer wieder eingebläut. Damit wurde er klein gehalten, ebenso wie mit der fast rituell wiederholten Beschimpfung, bei ihm und seinesgleichen handle es sich um unnütze Brotfresser, Schmarotzer, Minderwertige. Ja, man verstieg sich sogar soweit, das Leben des Paul Brune als »lebensunwert« zu brandmarken. Eine Beurteilung amtlicherseits, die ihn beinahe um sein von ihm durchaus geliebtes, von anderen aber so gering geschätztes Leben gebracht hätte.
    Bei diesem Paul Brune, einem Nichts und einem Niemand, entschuldigte sich im Januar 2003 der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Wolfgang Schäfer, offiziell in den Räumen des Düsseldorfer Landtags. Und zwar für das dem »sehr geehrten Herrn Brune« während der Nazizeit und auch danach »widerfahrene schlimme Unrecht«. Das, was Paul Brune im Jahr 2003 an Anerkennung und Wiedergutmachung zugebilligt wurde, wäre heute kaum vorstellbar. Mittlerweile würde sich jede Landesregierung mit eigenmächtig beschlossenen Entschuldigungen und Entschädigungen zurückhalten. Aus Angst davor, einen Präzedenzfall zu schaffen. Damals jedoch konnte man Brune noch gut und gerne für einen Einzelfall halten. Jetzt ist das nicht mehr möglich. Denn seitdem haben sich unzählige ehemalige Heimkinder zu Wort gemeldet und erreicht, dass ein Runder Tisch in Berlin einberufen wurde, der sich mit ihrem Leiden befasste.
    Über 800   000 Kinder waren zwischen 1949 und 1975 ähnlich wie Paul Brune in Heimen untergebracht. 30   000 bis 50   000 dieserKinder haben bleibende Schäden davongetragen. 35 Viele von ihnen sind ähnlich misshandelt und gedemütigt worden wie Brune in Niedermarsberg. Die Schauspielerin Hannelore Elsner zum Beispiel berichtete in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung (21.   05.   2011) über ihre Zeit in einem Kloster-Internat: »Natürlich ist man geschlagen worden, na klar«, sagte sie. »Mit dem Stock. Ohrfeigen und so kleine Rüffler, die waren völlig normal. Beim Klavierspielen im kalten Saal hat die Nonne manchmal mit dem Stock auf meine Finger gehauen. Das hat sehr wehgetan. Nachts hat man sich oft nicht auf die Toilette getraut, aus Angst vor der Aufpasserin im Schlafsaal.«
    Dies alles kam am Runden Tisch Heimerziehung endlich zur Sprache. Die dort versammelten Sprecher der ehemaligen Heimkinder forderten für die Opfer einer unmenschlichen Heimerziehung eine Zusatzrente. Ein Betrag, für den die früheren Träger dieser Heime – Kirchen, Landesregierungen und Kommunen, aber auch Privatunternehmen, die von der Arbeitskraft der Kinder damals profitierten – etwa 1,5 bis 1,8 Milliarden Euro aufbringen müssten.
    Die einstigen Heimkinder aus Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Westfalen-Lippe, Bayern und dem Rheinland waren am Runden Tisch in diverse

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