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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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brechen. Nur selten schlug der Vater sie mit der bloßen Hand. Meist mit Kleiderbügeln, mit Stöcken, mit Reitgerten, »weil wir ja schließlich eine Reiterfamilie waren. MeinBruder hat irgendwann mal ’ne Zuckerdose an den Kopf gepfeffert gekriegt. Ich war dauernd Gewalt ausgesetzt. Ich bin eingesperrt worden.« Sie hat sich dagegen vehement gewehrt, mit all ihrer Kraft. »Ich habe Türen aus dem Rahmen rausgetreten. Mich haben sie mal an der Autobahn rausgeschmissen aus dem Auto. Also ich hab wirklich alles erlebt, nur weil ich immer Widerstand leistete, aber ich bereue nichts davon.«
    Clever, wie sie schon als kleines Kind war, hatte sie sich ein System ausgedacht und gebaut, dass sie warnte, sobald die Eltern aus dem Geschäftsbereich in den privaten Teil der Wohnung kamen. Denn wegen der Teppiche hörte man deren Schritte schlecht. Und da Ilka ein Ass in Physik und Chemie war, verdrahtete sie »praktisch die ganze Wohnung mit einem Alarmsystem, so dass ich genau wusste, ab wann die von hinten in unseren Flur rein kamen. Scheiße! O. k.! Jetzt kommen sie. Petroleumlampe aus! Schokolade absenken! So tun als wenn man schläft. Ich hatte halt diese kleinen Drähte überall. Trittkontakte habe ich unter die Teppiche verlegt. Die haben sie nie gefunden. Die Putzfrau hat sie mal gesehen und hat dann geschmunzelt. Wusste aber auch nicht genau, was es ist. Und hat’s halt gelassen.«
    Sie weigerte sich, die gleiche Luft wie ihr Vater zu atmen
    Irgendwann konnte sie ihren Vater rein körperlich nicht mehr ertragen. In der Küche rührte sie nichts mehr an, das auch nur irgendwie mit ihm in Berührung gekommen war. Im Auto wollte sie die Luft nicht einatmen, die der Vater ausatmete. Was zu absurden Situationen führte. Wann immer die Familie in die Eifel fahren wollte, musste sie dies mit zwei Autos tun: Eines für Vater und Sohn, eines für Mutter und Ilka. Denn sobald alle zusammen fuhren, saß Ilka auf dem Rücksitz und hielt die Luft an. »Solange, bis ich blaue Lippen bekam und man anhalten musste.«
    Ein besonderes Beispiel für die Verrohung innerhalb ihrer Familie fällt ihr ein, und noch immer spürt man ihr an, wie sehr essie damals verletzte. »Ich habe mit meinem Bruder Tischtennis gespielt, in der Garage, und der Tischtennisball ist irgendwie weggerollt. Daraufhin sagte mein Bruder sehr aggressiv zu mir, ich solle diesen Ball suchen. Und ich fand den nicht. Ab da ging das halt volle Möhre ab. Er hat mich gezwungen den Ball zu suchen, hat mich über den Boden gezogen, bis ich diesen Ball gefunden habe. Mit nackten Beinen und halt in Shorts, im Sommer, einfach über den Teer geschleift. Mein Vater hat alles beobachtet, aber nicht eingegriffen, erst, als es so laut wurde, dass die Nachbarn sich an die Fenster gestellt und dann später die Rollladen runtergelassen haben. Ja, so war das«, sagt Ilka. Und dann fügt sie noch hinzu: »Die haben mich zum Teil so zusammengeschlagen, dass ich das Bewusstsein verloren habe. Also Schlagen war für mich so normal wie Mahlzeiten einnehmen.«
    Irgendwann bekam ihr Bruder vom Vater offiziell die Erlaubnis, Ilka zu züchtigen. »Weil das meinem Vater alles zu viel wurde, mich ständig zu verprügeln.« Und davon machte der zwei Jahre Ältere reichlich Gebrauch. Doch auch der Vater ließ weiterhin seinen Frust, seine Wut an ihr aus. »Mein Vater hat einmal versucht, mich zu überfahren. Der hat mich abgesetzt bei einer Freundin. Ich bin mit Schallplatten auf dem Arm losgegangen. Und der setzt zurück und fährt mich an und mir fallen die ganzen Platten aus der Hand. Weil er wieder sauer war. Weil irgendwas nicht so war, wie es sein sollte.«
    Ilkas ausgetüfteltes Überlebenstraining
    Als Ilka 14 Jahre alt war, erkrankte die Mutter an Krebs, kam ins Krankenhaus. Danach ging es zu Hause »immer drastischer zu.« Zunächst wurden die Kinder in die Obhut von Verwandten gegeben. Nach dem Tod der Mutter kamen sie zurück nach Hause, zum Vater, der mit Sohn und Tochter überfordert war. Wenn er nicht mehr weiter wusste, schloss er Ilka in ihr Zimmer ein, ließ die Rollladen runter, »und wenn es ganz hart auf hart kam, wurdendie Rollladengurte durchtrennt, so dass ich sie nicht mehr aufmachen konnte. Also ich saß echt da drin fest, wie im Gefängnis. Dann wurde die Sicherung rausgedreht, so dass ich auch nicht schreiben konnte.«
    Ilka hatte für den Fall eines verschärften Stubenarrestes vorgesorgt, überall Dinge versteckt, die ihr in dieser Lage das Leben erleichterten. Ihr

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