Die geraubte Braut
du zu mir gekommen wärest, als ich dich darum bat, anstatt dich aufzuführen, als wärest du in der Löwengrube gelandet.« Er krabbelte von ihr weg und machte sich daran, seine übelriechenden Sachen auszuziehen.
»Du wolltest mich nur küssen?« Sie konnte es nicht glauben.
»Ich wollte deine gerechte Empörung wegküssen«, feixte er. »Dein Versuch, mich in die Schranken zu weisen, war sehr tapfer.« Er schüttelte tadelnd den Kopf. »Was hattest du denn gedacht, dass ich tun würde?«
»Nach dem letzten Mal wusste ich es nicht«, platzte sie ehrlich heraus.
Rufus drehte sich um. Sein Ausdruck hatte sich verhärtet. »Vermutlich habe ich es verdient. Ich werde mich sehr bemühen, dass solche Missverständnisse nicht wieder vorkommen.«
»Es stört dich also nicht, dass Olivia meine Freundin ist?« Sie wusste, dass sie an eine offene Wunde rührte, doch musste die Sache unbedingt bereinigt werden. Ihre Herkunft war für ihn trotz ihrer Liebe noch immer ein Stein des Anstoßes. Ehe er sie nicht so nehmen konnte, wie sie war, würde sie stets zwischen Freundschaft, Blutsbanden und Liebe hin- und hergerissen werden.
Rufus stand reglos da, sein von Ale durchtränktes Hemd in der Hand. »Doch, es stört mich«, sagte er, »aber mir ist klar, dass ich dich nicht ändern kann. So sehr ich es mir wünsche, kann ich deine persönliche Geschichte nicht neu schreiben. Mir ist bewußt, dass ich nicht der einzige bin, der Treue von dir erwartet.«
Das klang unendlich traurig, schmerzlich, verletzlich und verloren. Portia wurde klar, dass sein Leben trotz der Liebe und der Lust, die sie teilten, einsam war. Aber wie konnte ein Leben, dessen früheste Erinnerungen allein vom Verlangen nach Rache geprägt worden waren, anders sein? Ein Leben ohne Raum für andere Gefühlsregungen, für die Zwischenbereiche einer Freundschaft außerhalb der Decatur-Festung.
Sie griff nach seiner Hand und hob sie an ihre Wange. »Rufus, meine Loyalität ist dir sicher.«
Darauf sagte er nichts und liebkoste nur ihre Wange mit dem Handrücken.
Kapitel 19
»Schlafen im Dienst wird schwer bestraft.«
Portia, die gähnend die Augen aufschlug, lächelte die hochgewachsene Gestalt, die vor ihr stand und sie beschattete, mit verschleiertem Blick an. »Ich bin nicht im Dienst.«
Rufus nickte ernst. »Bis vor zehn Minuten noch nicht.«
»Ach, das kann nicht sein.« Portia setzte sich im moosdurchsetzten Gras auf. »So lange kann ich nicht geschlafen haben.« Sie kämpfte sich auf die Beine, indem sie sich am Baumstamm hochzog, auf dessen verzweigten Wurzeln sie so friedlich geschlummert hatte.
Juno kam munter bellend das Ufer entlang auf sie zugesprungen, ließ einen Stock vor Rufus' Füßen fallen und setzte sich auf die Hinterbeine, mit hechelnder Zunge und herausforderndem Blick. Rufus bückte sich nach dem Stock und schleuderte ihn weit von sich. Der Hund raste begeistert klaffend davon.
»Ich weiß nicht, warum ich einschlief. Ich wollte mich nur für ein paar Minuten hinsetzen«, murmelte Portia, die ihr Koller ausklopfte und Zweige und Moosteilchen von ihren Breeches streifte. Es passierte ihr neuerdings häufig, dass sie von einem unüberwindlichen Schlafbedürfnis überfallen wurde und sie einnickte, wo immer sie saß. »Jetzt wird George mir grollen und mich vorwurfsvoll ansehen.«
»Nein, wird er nicht. Zufällig löst dich ein anderer ab.« Rufus, der sich ins Gras setzte und sich an den Baum lehnte, deutete einladend auf das Moos neben sich.
Portia zögerte, der Aufforderung nachzukommen. »Warum?« fragte sie mit gerunzelter Stirn.
»Für dich habe ich eine wichtigere Aufgabe als Wache schieben.« Aufblickend beschattete er die Augen gegen die warme Maisonne.
Portia schaute um sich. In ihren Augen flammte es sinnlich auf, sie benetzte ihre Lippen. »Hier? Ist das nicht zu öffentlich?«
»Das hatte ich ausnahmsweise nicht im Sinn, du unersättliches Frauenzimmer«, erklärte er lachend. »Komm, setz dich, ich muss dir etwas sagen.«
Portia betrachtete ihn nachdenklich. Sie spürte eine gewisse Erregung an ihm. Rufus zwang sich zwar, seine gleichmütige Miene beizubehalten, der Farbton seiner Augen aber gemahnte an blitzgeladene Sommergewitter, und als er sich mit scheinbarer Lässigkeit an den Baumstamm lehnte, tat er es mit mühsam beherrschter Spannung.
»Was gibt es?« Sie ließ sich neben ihm nieder.
»Aus Oxford kam ein Bote.« Er hob sein Gesicht mit geschlossenen Augen der Sonne entgegen, während ein
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