Die geraubte Braut
sie barfuß durch die Bäume, um die Festung herum, bis sie vor der Enteninsel angelangt war.
Nachdem sie vorsichtig bäuchlings den Hang hinuntergerutscht war, beobachtete sie den Posten, der seine Strecke abschritt – einen Abschnitt von zweihundert Metern. Als er drei Viertel des Rückweges hinter sich hatte und nicht in Portias Richtung blickte, rutschte sie das allerletzte Stück hinunter und ließ sich über den Rand des Grabens fallen. Nun suchte sie mit dem Fuß Halt am Ufer und fand ihn auch, so dass sie sich über der Wasseroberfläche halten konnte und sich zusätzlich an ein verkrümmtes, über ihrem Kopf aus dem Schlamm ragendes Wurzelstück klammerte.
Die Feuer schwelten an den Mauern. Ihr Taschentuch schützte sie vor dem ärgsten Rauch und würde auch ein verräterisches Husten dämpfen. Sie wartete, bis sie den Posten wieder kommen hörte. Als er abermals kehrtmachte und an ihr vorüberging, schob sie sich Stück für Stück weiter, indem sie sich molluskengleich am Ufer festklammerte und hoffte, möglichst lange einigermaßen trocken zu bleiben. Zwischen Enteninsel und Zugbrücke lagen drei Postenabschnitte. Die größte Gefahr drohte, wenn sie, der Biegung des Grabens folgend, zu dem Abschnitt gelangte, der direkt vor dem Lager verlief.
Das Glück war ihr gewogen. Sie hatte im Grabenufer einen Vorsprung gefunden, der breit genug war, um ihr Halt zu bieten. So konnte sie im Krebsgang unter dem Überhang hindurchkriechen, bis sie vor sich den Schatten der Zugbrückenstützen sah. Von oben waren hin und wieder gedämpfte Stimmen zu hören, wenn die Wachen ein paar Worte wechselten, doch das Lager hatte sich zur Ruhe begeben. Ebenso die Festung – das hoffte sie jedenfalls.
Unter der Zugbrücke holte Portia mit dem Gesicht zur Mauer tief Atem. Wenn sie jetzt innehielt, um zu überlegen, würde sie ihr Vorhaben aufgeben. Sie glitt unters Wasser und spürte die Wasserpflanzen um ihre Knöchel, als sie das kurze Stück ins Dunkel und in die Sicherheit der gegenüberliegenden Mauer schwamm.
Sie stieß mit dem Kopf hoch und atmete tief durch. Die Luft war rauchgeschwängert, aber besser als nichts. Dann tauchte sie wieder unter und wartete mit berstenden Lungen, ob jemand vom Ufer aus die gekräuselte Wasseroberfläche bemerkt hatte. Falls es der Fall war, hoffte sie, dar Posten würde weitergehen und es vergessen.
Als sie es nicht mehr aushielt, hob sie behutsam den Kopf. Die klobige Form des Zugbrückenpfeilers ragte direkt über ihrem Kopf vor. Die Mauern waren bis zur Höhe des früheren Wasserstandes mit grünem Schleim überzogen. Über dem Grün aber war das Mauerwerk so blank, wie sie es aus der Zeit kannte, als sie auf dem Eis gestanden hatte. Sie schwamm näher an die Mauer heran und tastete mit den Zehen nach einem Riss oder einer Ritze, in der sie Halt finden und sich bis zur Türhöhe aus dem Wasser hieven konnte. Ihr tastender Fuß fand das Gesuchte, das zwar kaum einer Zehe Halt bot, es ihr aber ermöglichte, sich so hoch hinaufzustemmen, dass sie festen Boden erreichte und die Umrisse der Tür fand.
Wo aber war der Hebel, der sie öffnete? Sie hatte ihn damals zufällig entdeckt. Aber diesmal konnte sie nicht aufrecht mit dem Rücken zur Wand stehen und sich auf denselben glücklichen Zufall verlassen, der sie auf den Druckpunkt hatte stoßen lassen. Immerhin wusste sie, dass er sich in der Tür selbst und nicht am Rand befand. Sie nahm sich deshalb den oberen Teil der Tür vor und ließ die Hände über den Stein gleiten, indem sie fest mit der Handwurzel dagegen drückte. Dann glitt sie ein Stück tiefer und strich die Tür von neuem ab.
Obwohl die Nacht warm war, fror sie bald, da ihre nassen Sachen klamm an ihr klebten. Ihre Hände zitterten, ihre Zähne schlugen so laut aufeinander, dass sie sicher war, jemand könne sie hören. Ob vor Kälte oder Angst, wusste sie nicht. Aber sie fuhr unbeirrt fort, die Mauer abzusuchen.
Und dann passierte es. Ein leises Klicken, und sie spürte, wie der Stein sich unter ihren Handflächen bewegte. Ihr Herz tat einen Sprung, als die Tür wie damals nach innen schwang. Sie purzelte in den schwarzen Gang, der ihr noch schwärzer erschien als beim ersten Mal. Und sie fror jämmerlich.
Während die Tür hinter ihr noch offenstand, zögerte sie. Für einen Rückzug war es noch nicht zu spät. Es war auch nicht zu spät, die ganze verrückte Idee zu vergessen. Ihre Zähne klapperten, sie zitterte vor Kälte. Wenn sie jetzt zurückschlich
Weitere Kostenlose Bücher