Die geraubte Braut
das Kerngehäuse der Birne in den leeren Kamin und suchte sich sorgfältig einen Apfel aus.
»Und heiß ist es«, sagte Olivia. »D-die Fenster kann man nicht öffnen, weil von draußen der Qualm hinein dringt. Und mein Vater lässt uns wegen der Pfeile nicht ins Freie.«
»Glaubst du, dass es bald vorüber sein wird?« Phoebe sah Portia scharf an.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Portia. »Und ich kann darüber auch nicht sprechen.« Sie furchte die Stirn. Ihren Freundinnen Trost zu spenden, ohne Verrat an Rufus zu üben, war schwieriger, als sie gedacht hatte. Fragen dieser Art hatte sie nicht erwartet, obwohl sie darauf hätte gefasst sein sollen.
»Du kannst darüber nicht sprechen, weil du auf der Seite des Gegners stehst«, bemerkte Phoebe mit gewohntem Freimut.
»Portia ist keine Gegnerin!« rief Olivia schrill vor Empörung aus. »Wie k-konntest du so etwas sagen?«
»Genaugenommen hat Phoebe recht«, sagte Portia. »Aber ich bin nicht gekommen, um vom Krieg zu sprechen. Zumindest nicht direkt. Ich wollte wissen, wie es euch geht. Außerdem musste ich einfach mit euch sprechen.«
»Ist es denn so einsam in der Armee?« fragte Phoebe.
Portia zuckte mit den Achseln. Phoebes Unverblümtheit grenzte an Taktlosigkeit, doch hatte sie die unheimliche Gabe, ins Schwarze zu treffen. »Ich habe es nicht erwartet, doch ist es so.«
Sie wusste, dass sie immer einsam gewesen war, von klein auf, selbst zu Jacks Lebzeiten. Da sie sich eingeredet hatte, sie brauche keine Gesellschaft, hatte sie diese auch nicht vermisst. Aber seitdem Olivia und Phoebe ihr eine Ahnung von Freundschaft vermittelt hatten, wusste sie, dass das etwas war, das durch keine noch so große Leidenschaft und Liebe zwischen Mann und Frau ersetzt werden konnte.
»Aber was ist mit Lord Rothbury?« fragte Phoebe sie mit derselben Direktheit. »Bist du nicht mehr seine Geliebte?«
»Ich bekomme sein Kind«, platzte Portia heraus.
»Ach!« Olivias Auge wurden rund wie Untertassen. »A-aber ihr seid nicht verheiratet.«
»Das muss man nicht sein, Kleines«, sagte Portia amüsiert und verlegen. »Ich bin der lebende Beweis.«
»Ihr werdet nicht heiraten, ehe das Kind geboren wird?« fragte Phoebe.
»Ich glaube nicht.« Portia senkte ihren Blick auf ihre im Schoß gefalteten Hände. »Ich habe Rufus noch nichts gesagt, aber …«, sie blickte mit einem kleinen wehmütigen Lachen auf, »… ich bin nicht aus Holz, aus dem eine Countess geschnitzt ist. Könnt ihr euch mich als Lady Rothbury vorstellen?« »Aber der Earl ist ein Geächteter!«
»Nicht mehr. Der König hat dem Haus Rothbury Pardon gewährt und ihm die Rückgabe seiner Ländereien zugesichert.« Die Weitergabe dieser Information ist kein Verrat, rechtfertigte Portia sich insgeheim. Es war kein Geheimnis, und wenn Cato es nicht ohnehin schon wusste, würde es bald der Fall sein.
»Ich glaube, du w-würdest eine wunderbare Countess abgeben«, erklärte Olivia im Brustton der Überzeugung.
»Aber möchtest du eine sein?« Wieder war es Phoebe, die die verzwickte Frage stellte. »Du hast immer gesagt, dass du dich ungern Konventionen beugst … dass du Soldat werden möchtest … dass es dir bestimmt war, als junge zur Welt zu kommen.«
»Tja, die Natur hat mich offenbar widerlegt«, gab Portia mit Galgenhumor zurück. »Sonst würde ich mich nicht in der weiblichsten aller Situationen befinden.«
Die kleine vergoldete Uhr auf dem Kaminsims schlug drei Uhr, und Portia sprang mit einem Ruck vom Fenstersitz. »Ich muss gehen! Ich merkte gar nicht, wie lange ich brauchte, um hierher zu gelangen.« Sie warf den Mantel ab und schlüpfte schaudernd zurück in ihr nasses Zeug.
»Niemand weiß, dass du da bist?«
»Nur ihr beide. Und ihr dürft mich nicht verraten.«
»Natürlich nicht!« rief Phoebe aus.
»W-wirst du wiederkommen?«
»Wenn ich kann.« Portia knöpfte ihr Wams zu. »Aber ich weiß nicht, was als nächstes passieren wird.« Sie sah die beiden hilflos an. »Ich wünschte, ich könnte etwas für euch tun.«
»Die Früchte waren köstlich«, erklärte Phoebe tröstend, um mit unverhohlener Neugierde fortzufahren: »Leidest du unter Übelkeit? Ich hörte, dass einer Schwangeren immer übel wird.«
»Fast unentwegt«, klagte Portia mit angewiderter Grimasse. »Vom Zeitpunkt des Erwachens an bis ich zu Bett gehe.«
»Ach, schrecklich. Wie bin ich froh, dass ich nie heiraten werde«, sagte Olivia, die sich aufrichtete, um Portia einen Kuß zu geben.
»Aber Portia wird
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