Die geraubte Braut
schmutzige Wasser deutlich zu sehen. Befand sie sich erst im Wasser, würde sie so weit unterhalb des Uferniveaus sein, dass sie nur für jemanden sichtbar war, der hinunter in den Graben schaute. Und das taten die Wachtposten nicht. Sie schritten das Lager und den Graben ab und wenn sie nicht strikt geradeaus sahen, richteten sie ihre Blicke hinauf zu den Wehrgängen oder von der anderen Seite auf die Mauern. Der Rauch von den Feuern würde für zusätzliche Deckung sorgen.
Direkt gegenüber der Zugbrücke in den Graben hinunterzuklettern, war zu gefährlich, da dort die Wachen der Belagerer am dichtesten postiert waren. Auf der anderen Seite, hinter der Enteninsel, war es günstiger, da der Fackelschein vom Lager nicht so weit reichte. Sie hatte gute Chancen, unentdeckt zu bleiben, wenn sie sich beim Schwimmen dicht ans Ufer hielt. Die Geheimtür lag genau an der Stelle, wo die Stütze für die Zugbrücke über den Graben ragte. Da es dort total finster war, konnte sie sich Zeit lassen, um den Öffnungsmechanismus der Tür zu suchen.
Portia merkte wenig überrascht, dass sie sich ihren Plan ohne bewusste Entscheidung zurechtgelegt hatte. Dass sie in die Festung musste, um mit Olivia und Phoebe zu sprechen, stand für sie unumstößlich fest. Sie musste erfahren, wie es ihnen ging, und sie musste ihnen ihren eigenen Zustand anvertrauen. Ihre Freundinnen hatten nichts mit diesem Krieg zu tun und noch weniger mit Rufus und Cato. Es war kein Verrat an Rufus, wenn sie nur mit ihnen sprach. Er hatte schon einmal Verständnis gezeigt und sich zu guter Letzt damit abgefunden. Diesmal war die Lage ähnlich.
Ihre Vorbereitungen traf sie ebenso kühl und überlegt, wie sie ihren Plan entwickelt hatte. Sie tauschte den Wachtdienst mit Paul, der froh war, sich vor der von Mitternacht bis vier Uhr morgens dauernden Patrouille drücken zu können. Rufus dachte sich nichts dabei, dass sie um Mitternacht Dienst machte und sich sofort nach dem Abendbrot zur Ruhe begab, während er sich noch mit Prince Rupert und dessen Offizieren unterhielt.
Als er um elf Uhr zu Bett ging, stellte Portia sich schlafend, obwohl sie viel zu aufgeregt war, um Ruhe zu finden. Er zündete die Lampe nicht an und begnügte sich mit dem schwachen Schein der Fackel, die die ganze Nacht über in einer Halterung vor der Zeltklappe brannte. Sie wusste, dass er sie in der halben Stunde, bis sie aufstehen musste, nicht stören würde, und lag reglos auf ihrer Pritsche, wobei sie seinen Blick auf sich spürte, als er ihren Atemzügen lauschte. Erleichtert hörte sie, dass er sich entfernte und in dem kleinen, nach Gras riechenden Raum hin- und herging.
Sie sah ihn so deutlich vor sich, als hätten ihre Augen offen gestanden, sah jede Geste von ihm, wusste, wann er seinen Gürtel löste, seinen Hosenbund aufknöpfte, sein Hemd mit beiden Händen und einer ungeduldigen, immer gleichen Bewegung aus dem losen Hosenbund zog. Mit geschlossenen Augen sah sie seine breite Brust vor sich, die kleinen harten Brustwarzen, das rotgoldene Haar, das sich zum Nabel im flachen Bauch und weiter hinunter hinzog. Er schob seine Breeches hinunter, ließ sie von den Beinen rutschen und bückte sich, um seine Strümpfe abzustreifen.
Die Gurte seiner Pritsche knarrten unter seinem Gewicht, und sie wusste so sicher, als ob er neben ihr gelegen hätte, dass er in seiner Unterwäsche schlief. Wenn er neben ihr gelegen hätte, wäre das anders gewesen. Ein Lächeln berührte ihre Lippen. Eine angenehme Vorstellung, dass er züchtig bekleidet schlief, wenn sie nicht verfügbar war.
Plötzlich wurden ihre Lider schwer, ihr Atem nahm den Schlafrhythmus von Rufus' tiefen, regelmäßigen Zügen auf. Der Schlaf kam, sanft und liebkosend wie Schwanendaunen.
Sie wurde wachgerüttelt. Rufus' Hand lag auf ihrer Schulter und schüttelte sie leicht. Vor dem Zelt hörte sie den Posten, der sie wecken sollte' heiser ihren Namen flüstern.
»Du hast wie tot geschlafen«, raunte Rufus. Er beugte sich über den schmalen Zwischenraum zwischen ihren Pritschen.
Portia stöhnte. Sie konnte nicht anders. Der Schock, aus dem ersten Tiefschlaf gerissen zu werden, war zu groß, und sofort rührten sich die ersten Anzeichen von Übelkeit in ihrem Magen.
»Schlaf weiter«, sagte Rufus. »Ich übernehme deine Runde.«
»Nein … nein.« Sie setzte sich auf und schüttelte die letzten Schlafreste ab. »Nein, es ist mein Dienst. Ich gehe schon.« Sie schob die Decke von sich und setzte sich auf. Ihren Kopf
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