Die geraubte Braut
starb bei der Geburt meiner Schwester, fünf Monate, nachdem man uns vertrieben hatte.« Sein Ton war dumpf und entrückt. »Sie musste sterben, weil niemand einer Gejagten und Ausgestoßenen, der Witwe eines verurteilten Verräters, beistehen wollte. Das Neugeborene folgte ihr nach wenigen Stunden in den Tod.«
»O Gott!« Portia versuchte, die Bilder zu verdrängen – der Junge, der seine Mutter in den Wehen liegen sieht, der hilflos ihr Leiden und ihren Tod erleben muss und schließlich als Waise zurückbleibt.
Darin lag die Wurzel des Übels. Und es würde nie ein Ende haben, solange Rufus sich der Rache verschrieb und sie alle damit herabzog.
»Cato hat deinen Vater nicht getötet«, wandte sie ein. »Er war damals ein Junge wie du, den du nicht für die Taten seines Vaters verantwortlich machen kannst.«
»So spricht eine Granville«, knirschte Rufus bitter. »Wie sonderbar, dass ich es einoder zweimal schaffte zu vergessen wer du bist.«
»Ich kann nicht anders«, sagte sie. »Ich kann nichts für mein Blut, Rufus.«
Ohne eine Antwort zu geben, saß er einfach auf seinem Pferd und starrte wieder hinunter auf die Ruinen seines Vaterhauses. Portia fasste nach Pennys Zügel und sprach die einzige Wahrheit aus, die es gab. »Ich kann nichts dafür, und du kannst es nicht vergessen, Rufus. Im Dorf Decatur ist für mich kein Platz. Als Geisel kann ich dir nichts nützen, und etwas anderes kann ich nicht sein. Ich werde immer nur die Feindin sein.«
Nun sah er sie an, und sein Blick war verhangen. »Eine Stunde Ritt in südlicher Richtung, und du erreichst Castle Granville. Kehre an den Herd der Granvilles zurück. Dort gehörst du hin.«
Portia wendete Penny hügelabwärts, zurück zum Weg, dann wandte sie sich nach Süden. Sie warf keinen Blick zurück, doch sah sie noch immer den Mann hoch zu Roß auf dem Hügelkamm vor sich, allein mit seiner Rache.
Allein war auch sie und wusste nicht, was für einen Empfang man ihr bereiten würde. Ganz sicher aber wusste sie, dass sie fortan stets unter der Erinnerung an jene Momente leiden würde, als sie, wenn auch nur kurz, jemandem von Herzen angehört hatte.
Portia brachte die Strecke in totaler Benommenheit hinter sich. Etliche Male musste sie nach dem Weg fragen, erreichte aber sehr rasch Granville-Gebiet. Nach der Trennung von Rufus war nicht viel mehr als eine Stunde vergangen, als sie auch schon Castle Granville auf dem Hang gegenüber aufragen sah. Sie war ratlos, wie sie ihre Gefühle hätte definieren sollen. Ihr Elend war mit jeder Meile, die sie zwischen sich und Rufus Decatur legte, gewachsen. Sie kam sich vor wie ein aus dem Nest gefallener und in die Kälte hinausgestoßener Vogel. Da nützte es nichts, dass sie sich sagte, sie hätte alles selber herausgefordert und sei aus freien Stücken fortgegangen. Es nützte gar nichts. Keiner der zahlreichen und vielfältigen Schicksalsschläge ihrer Mädchenzeit hatte sie auf dieses Gefühl der Trostlosigkeit vorbereitet.
Sie ritt an der Nebenpforte vor, und der Posten beäugte sie misstrauisch. Doch als sie sich zu erkennen gab, reagierte er wie der Blitz. Die Pforte schwang auf, der Posten ergriff ihre Zügel und rief über die Schulter: »Hol Sergeant Crampton. Das Mädchen ist wieder da.«
Portia saß müde ab und wartete im Pförtnerhaus auf Giles. Für eine auf wundersame Weise heimgekehrte Geisel ein alles andere als freudiger Empfang.
Giles, der bei Tisch gestört worden war, stürzte mit seiner karierten Serviette herein. Verblüfft starrte er sie an und brauchte ein paar Sekunden, bis er herausbrachte: »Woher kommt Ihr?«
»Ich konnte entkommen«, sagte sie. »Warum werde ich hier festgehalten, Sergeant?« Sie versuchte es mit Arroganz und erzielte damit bei dem Sergeanten eine gewisse Wirkung.
»Lord Granville ist beim Dinner«, gab er kühl zurück. »Aber kommt mit.«
Portia verkniff sich die Erwiderung, dass sie den Weg zum Esszimmer sehr wohl kannte, und schickte sich darein, wie eine entflohene Gefangene eskortiert zu werden.
Im Speisezimmer unternahm Cato höchst untaugliche Versuche, Brian Morse zu unterhalten. Diana zeigte sich seit der Ankunft des Gastes wie verwandelt, da mit Brian etwas vom Glanz des Hoflebens ins Haus gekommen war. Seine Kleidung war modisch, seine Manieren von feinster Höflingsart und mit einer Prise Flirtfreudigkeit gewürzt, um den Reiz zu erhöhen. Diana, die in ihrem Element war, strahlte vor Glück. Bei Cato konnte davon keine Rede sein.
»Brian, wenn
Weitere Kostenlose Bücher