Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Gefangenschaft gerieten, waren damit nicht gerettet. Germanen schleppten römische Offiziere im Wald zu einem improvisierten Opferaltar. Dort schnitten sie ihnen die Kehle durch, unter dem Jubel der Sieger. Durch das blutige Ritual wurde die Hinrichtungsstätte zu einem »heiligen Hain« und bald zu einer Pilgerstätte für die Germanen. Den Kopf des Varus, der sich in der Niederlage selbst gerichtet hatte, nahmen die Germanen mit, auch die Feldzeichen der drei aufgeriebenen Legionen.
Doch der Krieg gegen die Römer hatte erst begonnen. Nach dieser Niederlage, das wusste Arminius, konnte das Imperium nur auf Rache sinnen. Daher versuchte er den am besten organisierten germanischen Stamm, die Markomannen, als Verbündeten zu gewinnen. Deren Fürsten Marbod sandte er durch einen Boten den Kopf des Varus. Doch Marbod, der im Großraum Böhmen ein Heer von 70000 Fußsoldaten und 4000 Reitern befehligte, wollte nicht gegen die Weltmacht kämpfen. Er überließ das blutige Beweisstück den Römern.
Geschockt von ihrer Niederlage, verließen die übriggebliebenen Truppenteile nach der Varusschlacht panisch ihr Lager Haltern und das rechtsrheinische Gebiet. Sie fürchteten ein Übergreifen des Aufstands auf das linke Rheinufer. Die dortigen Stämme seien »schon schwankend geworden«, berichtete Velleius Paterculus. Panik herrschte selbst an der römischen »Ara Ubiorum« im heutigen Köln. Als der am Altar beschäftigte Segimundus vom Sieg über die Besatzer erfuhr, riss er sich die Priesterbinde vom Kopf und floh über den Rhein ins freie Germanien.
Um zu verhindern, dass seine Rheinfront zusammenbrach, mobilisierte das Imperium zunächst mit Zwang Legionäre aus dem Lumpenproletariat, Einheiten von geringem Kampfwert. Erst einige Jahre nach dem Desaster des Jahres 9 hatten sich die Römer so weit gefangen, dass sie frische Truppen mit dem Feldherrn Germanicus nach Norden in Marsch setzten. Der Großneffe des Augustus und Vater des exzentrischen Kaisers Caligula erhielt im Jahre 13 mit etwa 27 Jahren den Oberbefehl am Rhein.
In einem Rachefeldzug sollte er verlorenes Terrain für Rom zurückgewinnen – eine unerfüllbare Mission. Denn dank Arminius besaßen die Germanen seit dem Sieg über Varus ein völlig neues Selbstbewusstsein. In Windeseile hatte der Cheruskerfürst sich eine militärpolitische Macht geschaffen und eine Koalition von mindestens elf germanischen Stämmen formiert. Arminius habe einen »festen Zusammenschluss im westgermanischen Raum« angestrebt, zwischen Nordsee, Main, Elbe und Rhein, als »dauerhaftes Stammeskönigtum« und Gegengewicht zum Imperium Romanum, urteilt der Althistoriker Alexander Demandt. Damit war Arminius zur größten Herausforderung für Rom an der Nordflanke des Reichs geworden.
Entsprechend rabiat schlug Rom zurück. Im Jahre 14 schritten 12000 Legionäre auf einer Behelfsbrücke über den Rhein. Sie stießen bis zur Weser vor und verwüsteten, wie Tacitus berichtet, »alles Land zwischen den Flüssen Ems und Lippe«. Die römischen Söldner schonten bei ihren Massakern weder Alte noch Unbewaffnete, weder Frauen noch Kinder. Die Gattin des Arminius, Thusnelda, musste sogar für ein Propagandaspektakel herhalten. Nach Rom verschleppt, wurden die Frau und ihr kleiner Sohn Thumelicus im Mai des Jahres 17 auf einem Triumphzug präsentiert. Thusneldas Vater Segestes gab sich als Ehrengast auf der Tribüne für das Spektakel her. Der Rummel in Rom sollte verbergen, dass der nordische Gegner keineswegs besiegt war.
Die imperiale »Ausrottungspolitik« mit dem systematischen Niederbrennen von Dörfern, so der Historiker Reinhard Wolters, trieb Arminius weitere Kämpfer und Unterstützer zu. Wie sehr der Cheruskerfürst als Redner überzeugen konnte, davon gibt Tacitus einen Eindruck. Vor seinen Landsleuten habe Arminius gesagt: »Ich habe nichts mit Verrat zu schaffen. Ich führe nicht gegen schwangere Frauen Krieg. Ich handle offen und führe gegen bewaffnete Männer Krieg. Wenn ihr das Vaterland, die Eltern, die alte Freiheit der Knechtschaft und neuen Römerstädten vorzieht, dann folgt Arminius, der euch zum Ruhm und zur Freiheit, nicht Segestes, der euch in Schande und Sklaverei führt!«
Die römerfreundliche Partei in Germanien, zu der auch Flavus (»Blondschopf«), der Bruder des Arminius, gehörte, war zu schwach, dem Imperium die Macht rechts des Rheins zu sichern. Die Schwäche der Kollaborateure wurde offenkundig, als Arminius und Flavus im Jahre 16 bei einem Kriegszug
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