Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Leibwächter.
Dabei hatte Augustus selbst ungewollt die Weichen für das Desaster gestellt. Zwei Jahre zuvor hatte er den Feldherrn und Senator Publius Quinctilius Varus als Statthalter nach Germanien entsandt. Im besetzten Syrien war es diesem kurz zuvor gelungen, eine Rebellion in Palästina innerhalb eines halben Jahres niederzuschlagen. Sein Zeitgenosse Velleius Paterculus warf ihm Korruption vor: »Als armer Mann betrat er das reiche Syrien, und als reicher Mann verließ er das arme Syrien.« Am neuen Einsatzort, wo er nun sämtliche bereits seit mehr als 20 Jahren an der Rheingrenze stationierten römischen Legionen befehligte, galt Varus bald ebenso als rücksichtsloser Regent.
In Germanien bewegten sich die Römer auch rechts des Rheins selbstsicher. In den Jahren 4 und 5 nach Christus hatte der Feldherr Tiberius, Adoptivsohn des Augustus, Truppen bis an die Elbe geführt. Dort traf er römische Flotteneinheiten, die über die Nordsee in die Elbe eingefahren waren. Rechts des Rheins unterhielten die Römer einen Außenposten in Haltern nördlich des heutigen Recklinghausen, dazu ein Uferkastell direkt an der Lippe. Dort lagen römische Schiffe. Germanische Anwohner lieferten den Römern Uniformschmuck, Gürtel und Sandalen. Bauern verkauften den Soldaten Fleisch, Obst, Gemüse und Bier. Gastwirte boten einsamen Okkupanten neben warmen Speisen auch wärmende Germaninnen. Und manch blondes Mädchen sank einem Legionär in die Arme.
Der römische Way of Life stand für einen Luxus, der die germanische Oberschicht anzog. Davon zeugt auch der Hildesheimer Silberfund. Das kunstvoll mit Medaillons, Ornamenten und Reliefs verzierte römische Tafelgeschirr aus germanischem Besitz ist jetzt im Alten Museum in Berlin zu bestaunen. Aus dem friedlichen Miteinander von Besatzern und Besetzten zog Varus einen gewagten Schluss. Er glaubte offenkundig, die römische Macht sei so gefestigt, dass man die Germanen massiv ausbeuten könnte.
Varus trieb bei den Germanen Steuern ein, auch als Naturalien. Und er schwang sich zum obersten Gerichtsherrn auf. Zwar bedankten sich germanische Prozessbeteiligte bei dem fremden Juristen schon mal für seine Urteile. Aber das römische Recht mit seiner abstrakten Vorliebe für formale Eigentumsrechte behagte vielen Germanen nicht. Denn deren Rechtsbräuche stellten Persönlichkeit und Ehre, Sippe und Stamm in den Mittelpunkt. Das römische Recht hinderte die Germanen, alte Gewohnheiten auszuleben wie Blutrache und Beutezüge. Zusätzlich brachte Varus die Einheimischen mit seinem Herrenmenschen-Dünkel gegen sich auf. Velleius urteilt, der Statthalter habe sich in Germanien eingebildet, »die Menschen dort hätten außer der Stimme und den Gliedern nichts Menschenähnliches an sich«. Die Betroffenen, resümierte der römische Historiker Cassius Dio, hätten die Macht des Varus als »fremde Zwingherrschaft« erlebt und sich nach der »gewohnten Ordnung der Dinge« gesehnt.
Zum Sprecher dieses Freiheitswillens machte sich Arminius. Er kannte Varus und war als Fürstensohn oft sein Tischgenosse. Ein Bild des Cheruskerfürsten kann die Nachwelt nur im Spiegel römischer Quellen gewinnen, vor allem vom Zeitzeugen Velleius Paterculus und den Nachgeborenen Cassius Dio und Tacitus. Arminius hat nichts Schriftliches hinterlassen. Über Details seiner Biografie geben die Quellen nur vage Auskunft.
So viel immerhin ist sicher: Arminius war unter römischem Einfluss aufgewachsen. Vieles spricht dafür, dass er mehr als ein Jahrzehnt im Römischen Reich lebte. Womöglich genoss er bereits mit knapp zehn Jahren am Tiber eine Art Prinzenerziehung, in der Fürstenschule auf dem Palatin, einem der sieben Hügel Roms, neben der Residenz des Augustus. Den jungen Arminius dürfte das moderne Rom tief beeindruckt haben. Es war die Hauptstadt eines Weltreichs, das 50 Millionen Einwohner umfasste und vom heutigen Irak bis nach Großbritannien reichte. Im nicht von den Römern besetzten Germanien hingegen lebten damals nur etwa 3 bis 4 Millionen Menschen.
Die Metropole des Reiches war zu Zeiten des Arminius mit einer Million Einwohnern die größte Stadt der Welt. Im Zentrum boten gewaltige Gebäude einen imposanten Anblick: Das 33 Meter hohe Marcellustheater zum Beispiel fasste mehr als 10000 Zuschauer. An der Stelle des späteren Pantheons stand ein Tempel, errichtet zu Ehren des Augustus. Dessen Ruhm sollte auch die Ara Pacis des Augustus, der Altar des Friedens, ausdrücken, ein mit Reliefs aus
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