Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
dem letzten Bankett«, wie Tacitus berichtet, vor einer geplanten Verschwörung des Arminius. Aber das nahm Varus nicht ernst. Der romanisierte Arminius, der treue Kampf- und Tischgenosse, ein Verräter? Das klang zu absurd. Elektrisiert war Varus darauf von einer anderen Nachricht: Ein Germanenstamm habe eine Rebellion angezettelt. Die Information ließ sich nicht überprüfen, doch seine Erfahrung als Aufstandsbekämpfer sagte Varus: Eine solche Rebellion musste im Keim erstickt werden.
Hermannsdenkmal bei Detmold-Hiddesen
im Teutoburger Wald
LANDESVERBAND LIPPE
Sofort befahl der Feldherr der 17., 18. und 19. Legion und deren germanischen Hilfstruppen den Abmarsch in das vermeintliche Krisengebiet. Etwa 30000 Mann setzten sich in Bewegung. Aber wohin genau sollten sie marschieren? Germanische Hilfswillige wussten Rat, dank ihrer Ortskenntnis. So durchzogen die Kohorten die Gegend in der Nähe der heutigen Städte Soest, Paderborn, Detmold und Osnabrück, auf der Suche nach dem Feind. Den fanden sie bald, nur anders als erwartet.
In aufgelöster Ordnung, wie ein mindestens zehn Kilometer langer Lindwurm, zogen die Römer durch die Gegend. Starker Wind, Regen und von der Nässe schlüpfriger Boden behinderten den Vormarsch. Solches Wetter waren die Legionäre aus dem heutigen Italien nicht gewohnt. In einer bewaldeten Gegend, vielleicht Kalkriese bei Osnabrück (siehe Kasten), erlebten die Römer dann eine schreckliche Überraschung.
Mehrere tausend germanische Kämpfer hatten sich dort hinter Wällen aus Grassoden verborgen – eine Taktik, die sie den Römern abgeguckt hatten. Ohne Vorwarnung schleuderten die Germanen Hunderte von Speeren auf die dichtgedrängten Römer. Die fanden kaum genügend Platz, ihre schweren Schilde zu heben oder ihre sperrigen Speere zu werfen. Mit schrillem Klang prallten Speere der Angreifer von den Helmen und Schutzpanzern der Legionäre ab. Viele der Wurfgeschosse trafen die Arme und Beine, Gesichter und Hälse der Soldaten. Schmerzensschreie gellten durch den regennassen Wald. Reitpferde der Römer gerieten in Panik, von Speeren getroffene Tiere stöhnten. Mit etwa 18000 Mann griffen die Kämpfer des Arminius an. Römische Soldaten versuchten zu fliehen. Doch es gab kein Entrinnen. Mit ihrer schweren Metallrüstung, beladen mit Waffen und Rucksäcken, blieben sie im Moor oder im Morast stecken. Dort wurden sie von den tödlichen Schlägen germanischer Axt- und Schwertträger getroffen. In wildem Ansturm hieben und hackten die Germanen auf die überrumpelten Römer ein.
KNOCHEN MIT HIEBSPUREN
Wo fiel Varus?
Jahrhundertelang blühten Spekulationen, wo die Varusschlacht stattgefunden hat. Der Historiker Theodor Mommsen, profunder Kenner der römischen Geschichte, kam 1885 aufgrund von Münzfunden zu der These, der Ort des Gemetzels liege nördlich des Kalkrieser Berges. Rund hundert Jahre später, 1987, fand der britische Major und Hobbyarchäologe Tony Clunn bei Kalkriese 160 Silbermünzen, die Mommsens These erhärteten. Weitere Ausgrabungen förderten dort Tausende römischer Gold-, Silber- und Kupfermünzen aus der Zeit des Augustus zutage. In Kalkriese wurden keine Münzen gefunden, die später als 9 nach Christus, dem Jahr der Schlacht, geprägt wurden. Knochenfunde von Männern im Alter zwischen 25 und 45 Jahren mit Hiebspuren deuten auf gefallene Krieger.
In Kalkriese gibt es heute ein Museum, das jährlich etwa 100000 Besucher zählt. Zwar pflegen die Museumsmacher das Bild, Arminius habe in Kalkriese die Legionen des Varus geschlagen. Aber manche archäologische Funde, darunter ein Bohlenweg aus dem Jahre 15, sprechen dafür, dass sich hier nur eine andere kleinere Schlacht ereignete. »Die Varusschlacht fand definitiv woanders statt«, urteilt der Althistoriker Peter Kehne aus Hannover, einer der besten Kenner der Materie.
Immerhin sind sich die Experten inzwischen einig, dass die Varusschlacht zwischen Ems und Weser im Großraum Osnabrück stattgefunden haben muss - ein Fortschritt. Bei ersten Ortungsversuchen im Mittelalter tappten Historiker munter im Dunkeln. Bischof Otto von Freising, Zeitgenosse Kaiser Friedrich Barbarossas, bezeichnete in seiner zwischen 1143 und 1146 verfassten Chronik noch Augsburg als Ort der Schlacht. Davon ist die Forschung inzwischen abgerückt.
Die Varusschlacht, auch als Schlacht am Teutoburger Wald bekannt, dauerte vier Tage. Sie endete mit der totalen Vernichtung der drei römischen Legionen. Selbst Römer, die in germanische
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