Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
berichten sie und besingen ihn als ersten aller Helden, wenn sie in den Kampf ziehen … Gesucht wird vornehmlich ein rauer Ton und ein dumpfes Dröhnen, wobei sie die Schilde vor den Mund halten, damit voller und tiefer durch den Widerhall die Stimme anschwelle …
Selber trete ich der Meinung derjenigen bei, die urteilen, dass die Völker Germaniens, durch keine Zwischenheiraten mit anderen Völkern verdorben, ein eigentümliches, unvermischtes und nur sich selber ähnliches Volk sind. Daher auch ist die Form des Körpers – und dies doch bei einer so großen Zahl von Menschen! – allen dieselbe: wilde blaue Augen, rötliches Haar, große, allerdings nur zum Angriff tüchtige Leiber: gegen Strapazen und Arbeit haben sie nicht die gleiche Härte. Gar nicht sind sie Durst und Hitze zu ertragen gewöhnt, Kälte und Hunger infolge des Klimas und Bodens…
Dass von den Völkern der Germanen keine Städte bewohnt werden, ist zur Genüge bekannt, auch dass sie nicht untereinander verbundene Wohnsitze ertragen. Sie wohnen getrennt und in verschiedenen Richtungen auseinander, wie ein Quell, wie ein Feld, wie ein Wäldchen Gefallen erregte. Dörfer bauen sie nicht nach unserer Art mit verbundenen und zusammenhängenden Gebäuden: jeder umgibt sein Haus mit einem freien Raum, ein Schutz gegen Unglücksfälle durch Feuer oder auch aus Unkenntnis im Bauen. Auch Zement oder Ziegel sind bei ihnen nicht im Gebrauch: Holz verwenden sie zu allem, ungestaltetes und ohne Schönheit oder Ergötzen …
In jedem Hause wachsen sie nackt und schmutzig zu diesen Gliedern, zu diesen Körpern auf, die wir bewundern. Die eigene Mutter nährt jeden an ihrer Brust, und sie werden nicht Mägden oder Ammen übergeben. Herrn und Knecht kann man durch keine Feinheiten in der Erziehung auseinanderkennen: unter demselben Vieh, auf demselben Boden leben sie, bis das Alter die Freigeborenen trennt, die Tapferkeit sie bestätigt. Spät lernen die jungen Männer die Liebe kennen, und darum ist ihre Manneskraft unerschöpft. Auch mit den Jungfrauen hat man es nicht eilig; dieselbe reife Jugend weisen sie auf, einen ähnlichen hohen Wuchs: einander gewachsen und kraftvoll gehen sie den Bunde ein, und die Kräfte der Eltern erben die Kinder.
Übersetzt von Karl Büchner (1955)
TEIL IV
WEGE ZUR NATION
Drei Dutzend Könige
Die Westgoten, als wilde Krieger gefürchtet, waren schließlich sogar in Rom geachtet. Mit Reichsgründungen in Südfrankreich und Spanien wurden sie sesshaft.
Von Hans-Jürgen Schlamp
»Gottes Wille und der Ratschluss der Natur haben sich vereinigt, um seine Person mit der Gabe des vollkommenen Glücks auszustatten. Er ist kein Riese von Gestalt, aber doch größer und stattlicher gewachsen als der Durchschnitt, sein Lockenhaar (reicht) von der glatten Stirn zurück bis zum Hinterkopf, die Nase ist edel gekrümmt, die unterhalb der Nase sprossenden Haare werden täglich abgeschnitten, der Bart wird ständig vom Barbier geschoren.«
So vorteilhaft porträtierte der junge römische Adlige Gaius Sollius Modestus Sidonius Apollinaris den Gotenkönig Theoderich II ., den er vermutlich im Jahre 455 kennengelernt hatte. In einem Brief an seinen römischen Freund und Schwager Agricola pries er begeistert Theoderichs Fähigkeiten.
Der in Toulouse residierende Monarch arbeite aus »Sorge um die Verwaltung des Reichs« bis spät in den Abend. Er beherrsche nicht nur die Jagd wie kaum ein zweiter, sondern auch das stilvolle Leben: Bei Tisch ärgere man sich nicht über »einen glanzlosen Haufen von verfärbtem altem Silber, das der keuchende Diener auf sich biegenden Tischen auftürmt« – so stellte man sich in Rom offenbar das barbarische Gotenleben vor –, sondern alles beeindrucke mit »blitzender Sauberkeit«. Man erlebe »griechische Eleganz, gallische Überfülle, italische Spritzigkeit, öffentlichen Prunk, die Sorgfalt eines privaten Hauses und königliches Maßhalten«.
Nie zuvor war ein Germanenherrscher so von einem Römer bejubelt worden. Wie auch? Seit sich das Nord-Volk auf den Weg nach Süden gemacht hatte und im 3. Jahrhundert erstmals an den Grenzen des Imperiums aufgetaucht war, bestanden die römisch-gotischen Beziehungen aus einer trüben Serie von Krieg und Verrat. Mordend und plündernd zogen die Goten immer wieder kreuz und quer durch das Römische Reich, verheerend wie Pest, Cholera und Heuschrecken zusammen. Als wilde Krieger wurden sie gefürchtet, als kulturlose Barbaren verspottet – aber nun, gut zwei
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