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Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Pötzl
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Oberschicht, ihr überwiegend römisch-katholisches Volk zu bekehren. Den letzten Versuch unternahm König Leovigild (»Löwenherz«), der von 568 bis 586 regierte. Sein Sohn und Nachfolger Rekkared (586 bis 601) machte es anders und besser: Er wurde selbst katholisch und erklärte nun diesen Glauben zur Staatsreligion.
    Die römische Kirche war froh, dass der König »durch die Bekehrung der Westgoten zum rechten Glauben eine Herde geschaffen und einen Hirten eingesetzt habe« (Kampers) und sprach ihm damit auch das Oberkommando über das Seelenheil seines Volkes zu. Er sei, so bekundete das 3. Konzil von Toledo, »von göttlichem Geist erfüllt«. Die Bischöfe legitimierten die Königsherrschaft als gottgegeben und bedienten sich ihrerseits auf weltlichem Gebiet. Beste Bedingungen für den Adel, der kirchliche wie weltliche Führung stellte. »Staat, Kirche und Gesellschaft«, schrieb der Historiker Heinrich Dannenbauer, wurden »vom Adel beherrscht«; so habe »eine Anzahl großer Familien, ausgezeichnet durch vornehme Geburt und weit ausgedehnten Besitz, untereinander vielfach versippt, über Land und Leute« geboten.
    Während der Adel dabei immer reicher wurde – er setzte die Abgaben und Dienstleistungen seiner Pächter nach Belieben fest und vertrieb sie vom Land, wenn sie nicht zahlen konnten –, wurde die traditionelle Schicht der »Freien« immer ärmer. Formal konnten sie, einst Stütze der gotischen Heere und Kern des Germanen-Nimbus, noch einen herausgehobenen Status beanspruchen. Tatsächlich aber lebten sie als kleine Landbesitzer oder Tagelöhner mehr schlecht als recht. Eine Krankheit, eine Missernte konnte ihre wirtschaftliche Existenz vernichten. Wenn die Schulden überhandnahmen, verkauften manche ihre Kinder oder gar sich selbst als Sklaven an die Adelshäuser.
    Überhaupt dürften Sklaven die Mehrheit der Bevölkerung gebildet haben. Sie konnten verkauft, getauscht oder verschenkt werden, auch gezüchtigt. Nur das Töten oder Verstümmeln war – bei mäßiger Strafe – verboten. Sie arbeiteten als Koch oder Goldschmied bei Hofe, als Schreiber oder Töpfer in der Stadt. Sie konnten wichtige Ämter ausüben, einen adligen Haushalt oder staatliche Güter verwalten. Sie durften sich eigene Sklaven kaufen; einzelne sollen ziemlich reich geworden sein.
    Die neue Westgoten-Nation war also auf gutem Weg, einen bedeutenden Teil der für damalige Begriffe zivilisierten Welt darzustellen. König Leovigild ließ Münzen prägen, auf denen er und nicht mehr der römische Kaiser prunkte. Leovigild selbst trug Krone und Purpur und gründete, kaisergleich, neue Städte.
    Nur noch selten erinnerten sich diese gesitteten Westgoten an die gar nicht so feinen Anfänge. An das Jahr 376 etwa, als ihre Ahnen die Donau überquert hatten. Wilde Gesellen, stets auf der Suche nach Beute und Siedlungsmöglichkeit, meist gewalttätig. Von Dämonen getrieben, so glaubten ihre Nachbarn, taten sie die abscheulichsten Dinge; selbst »die Weiber« kämpften mit.
    »Es war einmal ein kleines Volk, das nannte sich Goten, das heißt Männer«, lässt Herwig Wolfram, Emeritus für mittelalterliche Geschichte in Wien, seine »Gotensaga« beginnen. »Der Anfang seiner Geschichte liegt in der Zeit, als die Römer ins freie Germanien eindrangen. Damals befanden sich die gotischen Sitze an der Ostseeküste von Pommern bis zur ostpreußischen Passarge.« Dass diese Ur-Goten – oder Gutonen, wie sie in antiken Quellen genannt wurden – ursprünglich in Skandinavien lebten, ist möglich, aber nicht belegt. Sicher weiß man nur: Die »Männer« samt ihren Familien waren rastlose Leute und lagen meist im Krieg mit ihren Nachbarn. Wer sich ihnen aber anschloss, berichtet der karolingerzeitliche Gelehrte Paulus Diaconus in seiner »Historia Langobardorum«, der »musste weder Gote noch Freier sein, wenn er bloß ein guter Kämpfer war und ein bestimmtes Maß an Disziplin beachtete«. So wuchsen die Kampfhorden an. Nach vier, fünf Generationen war das Gotenvolk schon ein furchterregender Heerhaufen; es plünderte nun auf dem Balkan wie dem griechischen Peloponnes – bis es dem römischen Imperium reichte. Kaiser Claudius II . zog 269 mit starken Truppen gegen die Goten, schlug sie bei Nis im heutigen Serbien und an weiteren Orten so vernichtend, dass er den Ehrennamen »Gothicus« erhielt. Die Unterlegenen brauchten ein Jahrhundert, um sich zu regenerieren.
    Sie verteilten sich dabei auf verschiedene Gebiete: Die einen wanderten

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