Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Gestirn erhellt würde«. Dumm nur für den prospektiven Weltenherrscher, dass seine Krieger realistischer waren: Uldins Truppen liefen scharenweise zu den zahlungsfähigen Römern über.
Attila besiegt Theoderich I. im Jahr 451
MAURITIUS IMAGES
Von den Hunnen hört man danach immer wieder als Rekruten in fremden Heeren. Sie kämpften 424 mit in Nordafrika für den römischen Usurpator Johannes gegen dessen Widersacher, den Feldherrn Bonifatius; ein Jahr später unterstützten hunnische Reiter den letzten weströmischen Helden Flavius Aëtius gegen die Oströmer. Der Einsatz in Italien endete wie stets: Die Hunnen erhielten »eine Summe Goldes, gaben Geiseln zurück, tauschten Eide aus und ritten in ihr Land zurück«, wie der Hunnen-Kenner Otto Maenchen-Helfen notiert. Kein Wunder, dass Hunnen-Fürst Rua angeblich sogar 60000 Söldner für Aëtius mobilisieren konnte.
Mit einem Paukenschlag treten die Hunnen ein letztes Mal ins Rampenlicht der Weltgeschichte: Von 434 bis 453 bestimmte Attila, die »Geißel Gottes«, ihre Geschicke. »Attila zermalmte fast ganz Europa zu Staub«, behauptete ein Zeitgenosse, ein Diktum, dem die Historiker jahrhundertelang folgten. So glaubte noch der große Theodor Mommsen, Attilas Reich habe vom Ural bis zu den britischen Inseln gereicht. All das waren Mythen, wie Maenchen-Helfen in seinem postum erschienenen Grundlagenwerk nachzeichnete. Attilas Reich war kaum größer als das des heute unbekannten Daker-Königs Burebista, der im 1. Jahrhundert vor Christus von der Mündung der Donau über den Balkan bis zur Slowakei herrschte.
Und als Römerfeind sei Attila nur wenig schlimmer gewesen als der gotische Condottiere Theoderich Strabo, »das Schielauge«, der Schrecken der Oströmer. Die höchste Tributzahlung, die Attila den Römern mit Gewalt entlockte, waren 2100 Pfund Gold jährlich – nur 100 Pfund mehr als das, was der oströmische Kaiser Leo dem schrecklichen Strabo etwa 30 Jahre später zahlte. Attila war, bilanziert Maenchen-Helfen, »der Alleinherrscher über die Hunnen« sowie »Herr über die Goten und Gepiden, ein mächtiger Krieger und für einige Jahre mehr als nur ein Ärgernis für die Römer«. Nie aber war die Geißel Gottes »eine wirkliche Gefahr«.
Die kam nach Attilas Tod mit den Germanen auf die Römer zu. In zwei Kriegen schlugen die Goten die Hunnen. Danach ging dieses mysteriöse Volk in die Geschichte ein. 469 fand der letzte hunnische Führer sein Ende: »Dinzirichus, der Sohn Attilas, wurden von Anagastes, dem General in Thrakien, getötet«, so das um 630 entstandene »Chronicon Paschale«. »Sein Haupt wurde nach Konstantinopel gebracht, in einer Prozession durch die Hauptstraße geführt und im Holzzirkus auf einen Pfahl gesteckt. Die ganze Stadt kam, um es anzusehen.«
»WILDE BLAUE AUGEN«
Auszüge aus der »Germania« des Tacitus
Germanien im Ganzen wird von den Galliern, Raetern und Pannoniern durch Rhein und Donau, von den Sarmaten und Dakern durch wechselseitige Furcht oder Gebirge geschieden: Das Übrige schließt der Ozean ab, der weite Buchten und unermessliche Räume von Inseln umfasst. Vor kurzem erst sind einige Stämme und Könige bekannt geworden, die der Krieg erschlossen hat. Der Rhein, auf einem unzugänglichen und steilen Gipfel der rätischen Alpen entspringend, wendet sich in leichter Krümmung nach Westen und mischt sich dann mit dem nördlichen Ozean. Die Donau, sich aus der sanften und mild herausgehobenen Höhe des Schwarzwaldes ergießend, sucht mehrere Völker auf, bis sie in sechs Wegen ins Schwarze Meer ausströmt: die siebente Mündung wird von Sümpfen verschlungen.
Die Germanen selber, möchte ich glauben, sind eingeboren und gar nicht durch Einwanderung und Aufnahme anderer Stämme vermischt, weil nicht zu Lande einst, sondern mit Flotten nahte, wer seinen Wohnsitz ändern wollte, der unermessliche und sozusagen gegnerische Ozean aber drüben selten von unserer Welt aus durch Schiffe besucht wird. Wer weiter – abgesehen von der Gefahr des rauen und unbekannten Meeres – hätte Asien, Afrika oder Italien lassen und Germanien aufsuchen sollen, gestaltlos in seinen Bodenformen, rau im Klima, trübselig in seiner Bestellung und seinem Anblick, außer wenn es ihm Heimat wäre? Sie feiern in alten Liedern – bei ihnen die einzige Art der Erinnerung und Geschichte – Tuisto, den aus der Erde geborenen Gott, und seinen Sohn Mannus als Ursprung und Gründer des Volkes …
Auch Hercules sei bei ihnen gewesen,
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