Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
den Grenzen schon als Skythen bezeichnet worden waren.
Der Chronist der Ostgoten, Jordanes, schrieb dabei besonders abschätzig über die Hunnen – vielleicht, um die von ihm hochgelobten Goten, also die Ex-Skythen, von diesen wilden Neu-Skythen abzugrenzen. So hätten die Hunnen bereits durch ihr »furchtbares Aussehen« Feinde in die Flucht gejagt. »Sie hatten nämlich ein schreckliches schwärzliches Ansehen«, berichtet Jordanes, »gewissermaßen einen abscheulichen Klumpen und kein Gesicht, eher Punkte als Augen.« Ihre Kinder würden sie von Geburt an grausam behandeln und »mit Eisen die Wangen« der Knaben durchschneiden, um sie gegen Schmerzen abzuhärten.
Aber auch der Autor, dessen Werk »Res Gestae« heutigen Historikern als zuverlässigste Quelle über die Hunnen gilt, der in Rom ansässige Grieche Ammianus Marcellinus, berichtet über das neue Volk mit geradezu rassistischem Furor. »Alle«, behauptet Ammian, der vermutlich nie einem Hunnen persönlich begegnet ist, »sind so entsetzlich entstellt und gekrümmt, dass man sie für zweibeinige Bestien oder Figuren aus Blöcken halten könnte.« Gräberfunde bestätigen davon nur, dass manche Hunnen ihren Kindern die Schädel von Geburt an zusammenbanden, so dass diese eine länglich-konische Form annahmen. Die Mode war indes nicht hunnenspezifisch, ebbte aber gegen Ende des 5. Jahrhundert, nach Attilas Tod, ab.
Vielfach kann man Ammian nachweisen, dass er seine Schilderungen anderswo abgeschrieben hatte. So verbreitet er über die Hunnen: »Tag und Nacht auf ihren Pferden kaufen und verkaufen, essen und trinken alle Männer dieses Volkes, und über den schmalen Nacken des Tieres gebeugt, ruhen sie sich in einem so tiefen Schlaf aus, dass er von mancherlei Träumen begleitet ist.« Rund 350 Jahre zuvor hatte der Historiker Pompeius Trogus Ähnliches über die Parther gesagt: »Zu jeder Zeit sind sie zu Pferd. Zu Pferd ziehen sie in den Krieg, nehmen an Gastmählern teil, auf ihnen erledigen sie öffentliche und private Geschäfte.« Allerdings hatte Ammian aus »zu jeder Zeit« (omni tempore), »Tag und Nacht« gemacht, weshalb er die Hunnen nun sogar schlafend im Sattel lassen musste.
Ammian kolportiert, die Hunnen hätten »halbrohes Fleisch« gegessen, »das sie zwischen ihre Oberschenkel und den Rücken ihrer Pferde legen«. Auch das ist eine alte Mär – schon von den Germanen und Kimbern hieß es, sie äßen rohes Fleisch. Ammian setzt noch einen drauf und sagt, die Hunnen hätten gar nicht gekocht. Dagegen steht archäologische Evidenz: Der große Kupferkessel ist in so vielen Grabungsstätten im hunnischen Verbreitungsraum gefunden worden, dass er zu den Leitartefakten dieser Kultur gehört.
Wo aber war nun ihr Ursprung? Auch darüber sind sich die Historiker bis heute nicht einig. Die einzigen Quellen dazu sind, mal wieder, Ammian und Jordanes. »Das Volk der Hunnen … wohnt jenseits des Mäotischen Sees, nahe dem Eismeer«, sagt Ammian. Diesem »Eismeer« ordnen Experten den Balchasch-See in Kasachstan zu – einen Ort in mehr als 5000 Kilometer Entfernung von Ammians Wohnort Rom. Und Jordanes weiß zufällig, dass die Hunnen von »haliurunnae« abstammen, von gotischen Zauberfrauen, »hässlich und klein«.
Noch weniger bekannt ist, warum die Hunnen überhaupt ihre ferne Heimat verließen. Sie seien bei der Jagd einer Hirschkuh gefolgt, erzählt Jordanes, quer durch das »Mäotische Sumpfmeer« – bis sie plötzlich in der Provinz Skythien standen, einer Steppenregion nördlich des Schwarzen Meeres. An diese Legende glaubt natürlich keiner der Hunnen-Forscher mehr. Doch warum die Nomaden sich mit Pferd und Wagen auf den langen Treck nach Westen machten, wissen sie auch nicht. Wurden sie von einem anderen Volk vertrieben? Oder lockte sie die Kunde vom Reichtum der Mittelmeerkulturen?
Denn was die Hunnen haben wollten, darüber sind sich alle einig: Beute. Bei ihren Angriffen ging es stets um »Geld und noch mehr Geld«, weiß Mediävist Heather. Sein deutscher Kollege Michael Schmauder betont, dass die Hunnen nicht über Territorien herrschten, sondern über Menschen. Sie verbündeten sich relativ wahllos mit anderen Völkern – Hauptsache, es sprang dabei etwas heraus.
Die Hunnen waren eine Art Piratenvolk zu Lande, als Krieger gefürchtet. »Ihre Hände sind furchtbar«, schrieb Sidonius Apollinaris, »treffsicher mit ihren Geschossen senden sie unfehlbaren Tod, in ihrer verbrecherischen Kampfwut verfehlen sie nie ihr Ziel.«
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