Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Imperiums. Beides scheiterte am Sturm, am Mangel an Schiffen und nautischer Erfahrung. Also ging der Weg zurück nach Norden, entlang der Mittelmeerküste Richtung Gallien. Als Alarich starb, wurde er im Bett des Flusses Busento begraben, den man dafür eigens umleitete – so jedenfalls behauptete es der Geschichtsschreiber Jordanes hundert Jahre später. Die Sache ist sehr zweifelhaft, aber einprägsam. Noch 1828 dichtete August von Platen rollende Langverse über »die Schatten tapfrer Gothen«, die am Busento »ihres Volkes besten Todten« beweinen.
Die überlebenden Goten marschierten weiter, kämpften weiter. Sie schlugen sich mit Römern, Franken, Galliern, aber lustvoll auch miteinander: der Adel gegen den jeweiligen König und umgekehrt. Viele Herrscher wurden ermordet, oft auch deren Kinder. Attentate, Aufstände, Königsmorde waren so häufig, dass ein Fortsetzer des fränkischen Geschichtsschreibers Fredegar daraus den »morbus gothicus« herleitete, die »gotische Krankheit«.
Und doch brachten sie es erstaunlich weit: Nach dem Verschleiß von drei Dutzend Königen waren die Westgoten in ihren poströmischen Reichen von Toulouse und Toledo angekommen, zum Höhepunkt und Abschluss ihrer Geschichte. Denn 710 kamen die Mauren über die Meerenge von Gibraltar gesegelt; wenige Jahre später war von den Gotenreichen nicht mehr viel übrig. Ein paar Schmuckstücke, einige Kirchen – freilich keine Gotik. Diese viel später so betitelte Epoche spitzbogiger Eleganz begann erst Mitte des 12. Jahrhunderts, als es längst keine Goten mehr gab.
Abenteuer Afrika
Nur ein Germanenstamm hat in der Spätantike ein souveränes Reich geschaffen: die Vandalen. Entscheidend dafür waren List und Weitblick ihres Anführers Geiserich.
Von Manfred Ertel
Karthago war eine blühende Hafenstadt und Wirtschaftsmetropole. Prunkvolle Häuser und Villen säumten in den ersten Jahrhunderten nach Christus die quadratisch wie auf einem Schachbrett angeordneten Straßen. Handel und Wirtschaft boomten, die Lebensqualität war hoch. Selbständig war das See- und Handelszentrum an der nördlichsten Spitze Afrikas zwar längst nicht mehr. Aber den bis zu 300000 Einwohnern Karthagos ging es prächtig zwischen römischem Theater, protzigem Forum auf dem zentralen Byrsa-Hügel, Badehaus und Thermen direkt am Meer sowie einer neunschiffigen frühchristlichen Basilika. Die Küstenstadt, rund zehn Kilometer vom heutigen Tunis entfernt, war in der Spätantike neben Rom die bedeutendste Großansiedlung des Weströmischen Reiches. Bis die Barbaren kamen.
Es war das Jahr 439, als der Vandalenkönig Geiserich überraschend Karthago besetzte. Wie die feindliche Übernahme der mit massiven Steinmauern gesicherten Metropole gelingen konnte, ist nicht exakt überliefert. Es scheint vor allem List geholfen zu haben, glauben Historiker – die List des Geiserich.
Er und seine vandalischen Stammesgenossen waren wohl im Windschatten eines Stillhalteabkommens mit Rom erst friedlich in die Stadt eingesickert; dann unterwarfen sie sie, notfalls auch mit Gewalt. Ein päpstlicher Schreiber hat damals lediglich festgehalten, dass Geiserich, »von dessen Freundschaft man nichts fürchtete, am 19. Oktober unter einer Friedenslist« die Stadt besetzt habe. Und der zeitgenössische Chronist Bischof Hydatius notierte: »Nachdem er mit großem Betrug Karthago am 19. Oktober überlistet hat, nimmt König Geiserich ganz Africa in Besitz.«
Die Einnahme der prachtvollen Großstadt ist symptomatisch für Geiserichs strategisches Geschick. Die Besetzung der römischen Provinz Africa mit dem heutigen Tunesien im Zentrum dagegen belegt eher seine Brutalität. Beide Eigenschaften zusammen legten den Grundstein für einen bemerkenswerten Erfolg: Geiserich, der Vandale, ist der erste und einzige Barbar, der so etwas wie ein autonomes Staatsgebilde schuf – ein veritables germanisches Königreich, das Roms Kaiser Valentinian III . anerkannte und das, immerhin, hundert Jahre Bestand hatte.
Aus den wandernden Barbarenstämmen war »eine Art Staatsvolk geworden«, kommentiert der Althistoriker Helmut Castritius. Geiserich habe ein, »wenn man so will, anerkanntes Staatsgebilde« geschaffen, zu dem auch die einheimische Bevölkerung gehörte. Historisch ist wenig überliefert über den Vandalenführer, der, falls notwendig, ähnlich machtbewusst und grausam agiert haben muss wie Dschingis Khan oder Attila der Hunnenkönig. Der nichteheliche Sohn des Stammesfürsten Godigisel
Weitere Kostenlose Bücher