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Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Pötzl
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wurde vermutlich 389 geboren; in den spärlichen Überlieferungen wird er als kriegerisch und weise zugleich beschrieben, zudem als Organisationstalent. Ohne Frage war er machtbewusst, skrupellos und visionär. Nach dem gewaltsamen Tod seines Bruders Guntherich ließ er dessen Söhne ermorden, um seine Stellung als König der Vandalen zu festigen.
    Richtig aufmerksam wird die Geschichtsschreibung der Spätantike auf Geiserich erst, als er, zusammen mit rund 15000 Kriegern und deren Familien, im Jahr 429 von Gibraltar nach Nordafrika übersetzt. Es muss eine organisatorische Meisterleistung gewesen sein, bis zu 80000 Menschen, deren Habseligkeiten und Vieh sowie Tausende Pferde seiner Reitertruppen auf Transportschiffe zu verladen und über die Meerenge auszuschiffen. Bis dahin waren die Vandalenstämme, aus Schlesien und Osteuropa kommend, mächtigeren Barbarenvölkern ausgewichen, den Hunnen oder auch anderen Germanenstämmen. Ende 406 waren sie über den Rhein ins Römische Reich eingedrungen, dann weiter durch Gallien gezogen. Schon drei Jahre später waren sie auf der Iberischen Halbinsel.
    Zu seinem Afrika-Abenteuer animierte Geiserich bestimmt auch die Aussicht auf mehr Sicherheit vor seinen westgotischen Feinden, die mit den Römern verbündet waren, aber nicht nur das. Die meisten Germanen waren keine Seefahrer und zu Wasser gänzlich ungeübt. Geiserich war lange vor allem wegen seiner verwegenen Reiterhorden gefürchtet. Dann allerdings konnte er in Hispanien mehrere Häfen einnehmen. Er beschlagnahmte dort liegende Flotten, und viele römische Seeleute liefen zu ihm über. Schon seine ersten Törns führten ihn zu Beutezügen bis an die afrikanische Küste der römischen Provinz Mauretanien, des heutigen Marokko.
    Mehr noch als eigene Sicherheit dürften Geiserich im Süden die fruchtbaren Regionen Nordafrikas gelockt haben, die als Kornkammer des Römischen Reiches galten. Auf der Iberischen Halbinsel waren die Böden karg und die Versorgung der Vandalen kärglich. Deshalb verschiffte der Stammesfürst sein Volk sowie Teile der ihm angeschlossenen Alanen und machte sich in Nordafrika breit.
    Skrupellos ging Geiserich gegen die einheimische Bevölkerung vor. Capreolus, Bischof von Karthago, beschreibt 431 »ein elendes Bild der Verwüstung«. Er klagt über eine »Menge von Feinden«, die »die Einwohner teils ausgerottet, teils in die Flucht getrieben« hätten. Römische Großgrundbesitzer und Stadträte mussten »zwischen Knechtschaft und Verbannung wählen«, schreibt Castritius. Geiserich machte Karthago zum Zentrum und zur Hauptstadt seines Vandalenreiches – eine kluge machtpolitische Entscheidung. Denn der Hafen lag strategisch günstig zur Kontrolle der See- und Handelswege bis hin zur Straße von Gibraltar und zu den großen Inseln im Mittelmeer.

    Vandalischer Reiter in Karthago
    (Fußbodenmosaik, um 500)
    THE BRITISH MUSEUM
    Dem Reiz, mit seinen zwar mutigen und geschickten, aber zahlenmäßig unterlegenen Kriegern große Landstriche Nordafrikas zu unterwerfen, widerstand der weitblickende Vandale. Er beschränkte sich im Kern auf das heutige Tunesien samt Teilen Algeriens im Westen und Libyens im Osten. Dafür eroberte er mit seiner Flotte in den Folgejahren zeitweise die Balearen, Korsika, Sizilien und Sardinien. Das war keine im eigentlichen Sinn strategisch angelegte Expansionspolitik. Geiserich besetzte Häfen, errichtete Stützpunkte und kassierte Tribute, ohne eine komplette Herrschaftsstruktur auf den Inseln zu errichten.
    Lieber gab er sich daheim in der ehemals römischen Provinz Africa dem süßen Leben hin. Ganz im Gegensatz zur heutigen Deutung ihres Namens ließen sich die Vandalen offenbar ein Leben in Saus und Braus gern gefallen, vor allem in Karthago und anderen großen Städten wie dem Hafen Hippo Regius im heutigen Ostalgerien. Sie lebten in luxuriösen Villen, kleideten sich in seidene Gewänder, fanden Gefallen am Theater ebenso wie an der Jagd und lernten Latein. Der zeitgenössische Chronist Prokop wunderte sich begreiflicherweise über diesen neuen Lebensstil, den »die senatorische Oberschicht im Römischen Reich«, so der Germanen-Experte Bruno Bleckmann, »über Jahrhunderte gepflegt hatte«.
    Grund genug für die Herrscher des Weströmischen Reiches, sich in Sicherheit zu wiegen. Ein erstes Stillhalteabkommen mit Geiserich hatte dem Vandalen im Jahr 435 offiziell mehrere Gebiete in Nordafrika zur Ansiedlung überlassen; das angeschlagene Imperium duldete die

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