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Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Pötzl
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mit Theoderich ein. Der Gotenkönig schwor, kein Blut zu vergießen – und brach den Schwur nur drei Wochen später.
    Während seines Feldzugs hatte Theoderich den Rang eines römischen Patricius innegehabt sowie die Königswürde der Amaler, seines Geschlechts. Um als König in Italien anerkannt zu werden, schickte er eine Gesandtschaft von Senatoren aus Rom nach Konstantinopel. Der Kaiser, Anastasius I ., hielt den unbequemen Barbaren jedoch hin. Vier Jahre dauerte es, bis Konstantinopel das kaiserliche Ornat für die Krönung nach Ravenna schickte, Purpurgewand, Zepter, Diadem. Der Gote legte die Insignien indes nie öffentlich an: Theoderich wusste, dass ein Nichtrömer seine Macht besser nicht zur Schau stellte. Denn bei aller Brutalität war er ein exzellenter Diplomat. »Ihr seid der heilbringende Schutz der ganzen Welt«, schrieb er 508 huldigend dem fernen Kaiser, »zu dem mit Recht alle übrigen Herrscher aufblicken, … am meisten aber wir, die wir mit Gottes Hilfe in Eurem Staat gelernt haben, wie wir unparteiisch über die Römer herrschen können. Unsere Herrschaft ist nur eine Nachahmung der Euren.« Mit solchen Worten ging Theoderich dem Kaiser um den Bart und bekräftigte zugleich seine Eigenständigkeit. Auch das Lob für seine Erziehung bei Hofe war mit Bedacht gewählt: »Mit Gottes Hilfe« will er seine Regierungskenntnisse in Konstantinopel erworben haben – nicht mit der von Menschen.
    Ebenso sensibel für Empfindlichkeiten regierte Theoderich seine höchst unterschiedlichen Untertanen. Berühmt ist sein Ausspruch: »Ein armseliger Römer ahmt einen Goten nach, ein tüchtiger Gote ahmt dagegen einen Römer nach.« Damit brachte er klar zum Ausdruck, dass er und sein Reitervolk in Italien über kulturell weit überlegene Bewohner herrschten.
    Theoderich und seine Ostgoten waren arianische Christen. Sie glaubten nicht an die Dreifaltigkeit wie die Römer, die Katholiken waren. Die meiste Zeit von Theoderichs 33-jähriger Ära als Rex in Italien befanden sich die Weströmer in komplizierten Religionsfehden untereinander und mit den Oströmern. Theoderich versuchte – nicht immer mit Erfolg –, sich aus den Zwistigkeiten herauszuhalten. Er galt als Musterbeispiel frühmittelalterlicher Toleranz. Auch die Juden genossen seinen Schutz, wenngleich er ihren Glauben für falsch hielt.
    Seine tolerante Haltung entsprang kaum innerer Überzeugung. Der Ostgote war davon beseelt, die Tradition römischer Kaiserherrschaft fortzusetzen, eine Kontinuität, für die schon Odoaker gesorgt hatte. Schließlich waren beider Völker winzige Minderheiten auf der italischen Halbinsel. Die Goten machten gerade einmal zwei Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Theoderichs oberstes Staatsziel hieß Ruhe. Er proklamierte die Wahrung der Ordnung, der »civilitas«. Wie schon Westroms Kaiser teilte sich Theoderich die Regierung mit dem Senat, den er schmeichelnd Hort der Freiheit nannte. Daher gab es auch zwei Machtzentren: Ravenna und Rom.
    Die führenden Beamten im »consistorium« (Hofrat) waren allesamt Römer. In Wahrheit hatten sie keine politische Bedeutung. Theoderich traute nur Männern aus seinem eigenen Gefolge. In Rechtsdingen und bei Personalentscheidungen berieten ihn gotische Anführer. An der Spitze der Provinzialverwaltung stand ein Prätorianerpräfekt, zuständig für die Gerichtsbarkeit und die Steuereinnahmen. Mit Liberius hatte Theoderich einen Glücksgriff getan: Dieser römische Verwaltungsbeamte, den er zunächst mit der Ansiedlung der Goten betraut hatte, schaffte es, die Steuereinnahmen erheblich zu steigern.
    Die gotische Minderheit sah sich als Beschützer des Landes. Theoderich erweiterte die Verwaltung um eine ethnische Komponente, die »comites«: Oberhäupter von Gotengemeinden, im Krieg Befehlshaber, in Friedenszeiten Richter. Pflicht eines Comes war laut Ernennungsurkunde, dem römischen Nachbarn »in Liebe verbunden zu sein«. Im Konfliktfall hatte er zu schlichten, und »wenn vielleicht zwischen einem Goten und einem Römer irgendein Rechtsstreit aufkommt, unter Hinzuziehung eines kundigen Römers«. Nur bei innerrömischen Konflikten oblag die Gerichtsbarkeit den Römern allein. Oberster Richter des Landes war Theoderich selbst. Er genoss den Ruf eines Salomon, wie der Verfasser der zeitgenössischen »Excerpta Valesiana« mit einem Urteil zu verdeutlichen suchte. Es ging um eine Witwe, die anlässlich ihrer bevorstehenden Neuverheiratung den lange verschollenen Sohn verleugnete. Der

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