Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
wurde auf der Flucht getroffen. Sein Nachfolger Teja konnte sich nur noch wenige Monate halten. Die »Ostrogothi« gingen in die Geschichte ein.
Ferdinand Gregorovius, der große Rom-Historiker des 19. Jahrhunderts, hat Theoderich als frühen Vorboten der Neuzeit gewürdigt. Der Gote habe erstmals versucht, »auf den Trümmern des Reiches jene neue Weltordnung einzurichten, welche sich allmählich aus der Verbindung der nordischen Barbaren mit der römischen Kultur … ergeben musste«.
Kulturschock am Limes
Die Franken profitierten von der spätrömischen Dekadenz. Aus der Konkursmasse des Imperiums formten sie ein neues Königtum.
Von Jan Puhl
»Es gibt ein Volk jenseits des Rheins, sein Gebiet erstreckt sich bis zum Ozean; es ist derart gut für das Kriegshandwerk gewappnet, dass die Leute von den Kriegstaten ihren Namen gewonnen haben und Phraktoi genannt werden« – griechisch für »die Gepanzerten«. Im Volksmund seien daraus dann »Frankoi« geworden, die Franken. So erklärt der aus Antiochia stammende Redner Libanios um die Mitte des 4. Jahrhunderts, wie die westgermanischen Stämme zu ihrem Namen gekommen sind, die zu jener Zeit immer wieder ins Römische Reich einfielen, mordend und brandschatzend.
Auch Isidor von Sevilla, Verfasser des bedeutendsten frühmittelalterlichen Nachschlagewerks, schreibt dem Germanenstamm »rohe Sitten und eine Wildheit der Gemüter« zu. Die Franken – wahrscheinlich leitet sich ihr Name aus dem lateinischen »franci« für »kühn« oder »frei« her – haben keine eigene Chronik ihrer Frühzeit hinterlassen; wahrscheinlich verstanden sich ihre Eliten im 2. und 3. Jahrhundert noch nicht einmal als ein Volk. Sie fühlten sich wohl viel eher als Chamaven, Brukterer, Amsivarier, Chattuarier oder Salier, Germanenstämme eben. Sie siedelten rechts des Niederrheins, schlossen sich gelegentlich in Kampfgemeinschaften zusammen und zogen dann auf Beute über den Rhein. Erst viel später sollten sie, unter den Dynastien der Merowinger und Karolinger geeint, aus der Konkursmasse des weströmischen Reiches ein neues Imperium formen. Die Franken, urteilt der US -Historiker Patrick J. Geary, stehen also »vermittelnd zwischen Spätantike und Mittelalter«. Ihr Großreich bildete die historische Keimzelle späterer Staatsgebilde wie Frankreich, Italien, Burgund – und auf etlichen komplizierten Umwegen auch für Deutschland.
Es war das Jahr 259 nach Christus, als westgermanische Kampfverbände den Limes überwanden und das römische Kastell Gellep beim heutigen Krefeld niederbrannten. Für die Römer nicht die erste Niederlage, aber eine besonders blamable, ein Kulturschock geradezu: Rückständige Barbaren hatten es der antiken Supermacht gezeigt. Allerdings spiegelte der Vorstoß auch die zunehmende Schwäche des römischen Kolosses. Noch versuchten die Franken kaum, sich in den überfallenen Ländern auf Dauer festzusetzen. Sie wurden nicht von einem starken Monarchen mit strategischen Zielvorstellungen regiert, sondern von lokalen Duces oder Heerkönigen, denen es um schnelle Beute ging. Es fehlte ihnen eine Zentralmacht. Deshalb hatte Rom mit den üblichen Strafexpeditionen zunächst weiterhin Erfolg. Barbaren, die den Legionären in die Hände fielen, wurden »durch äußerste Martern bestraft«. Junge Franken, so fanden die Römer, seien wegen ihrer »Wildheit für die Sklaverei ungeeignet«. Also wurden sie in der Regel »dem Circus-Spiel überantwortet und ermüdeten durch ihre große Zahl die reißenden Bestien«, heißt es in einer zeitgenössischen Quelle.
So ging es das ganze 4. Jahrhundert lang: Die Franken fielen ein, die Römer schlugen zurück. Vorausschauendere Kaiser mühten sich, der Bedrohung nicht allein mit rascher Gewalt beizukommen, sondern heuerten besiegte Franken mitunter als Söldner an. Wirklich brenzlig wurde es für die Römer, als in Salland, einem Gebiet in der heutigen niederländischen Provinz Overijssel, in Gestalt von Chlodio ein Herrscher hervortrat, der die Merowinger-Dynastie begründete.
Spätere Chronisten haben den Vorgang sagenhaft ausgeschmückt: Chlodio habe mit seiner Gattin Urlaub an der Nordsee gemacht; plötzlich sei dem Meer ein stierköpfiges Ungeheuer entstiegen und über die Frau hergefallen. Von dem Untier oder ihrem Mann – da sind die Quellen etwas vage – habe sie einen Sohn empfangen, der den Namen Merowech erhielt. Childerich, wohl der Sohn Merowechs und seit 457 an der Macht, trieb die fränkische Reichsgründung
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