Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Sohn bekam davon Wind und wandte sich, besorgt um sein Erbe, an den König. Der lud Sohn und Witwe vor Gericht. Hartnäckig leugnete die Frau die Bekanntschaft mit dem jungen Mann – bis Theoderich ihr befahl, diesen zu heiraten.
Aus dem Nomaden wurde auf dem Thron ein ehrgeiziger Bauherr. »Ich sehe, wie den Aschenhaufen der Städte unverhoffter Glanz zuteilwurde und … überall die Dächer der Paläste schimmern«, überschüttete der Bischof von Pavia ihn mit Lob. »Rom, die Mutter aller Städte, wird wieder jung, weil man ihre vom Alter morschen Glieder zurückstutzt.« Tatsächlich steckte Theoderich einen Großteil seiner Einnahmen in die Renovierung verfallender Gebäude und in neue Prachtbauten. In Rom etwa ließ er das Senatsgebäude, das Kolosseum, das Pompeius-Theater und die Stadtmauer instand setzen. Ravenna bekam neue Kirchen, darunter die Palastkirche. Das war längst nicht alles: In Verona, Pavia, Monza, Galatea legte er Paläste an; vielerorts ließ er die Stadtmauern erneuern. Theoderichs eigentümlichster Bau war für die Ewigkeit gedacht: sein Grabmal in Ravenna. Den 16 Meter hohen und 14 Meter breiten Rundbau ließ er zu seinen Lebzeiten errichten. Der Monolith, der die gewölbte Decke bildet, wiegt 230 Tonnen; es brauchte 700 Mann, um ihn nach oben zu hebeln.
Doch eine römische Verwaltung, Baukultur, Gesetzgebung – dies alles hatten auch andere barbarische Fürsten Roms. Was bei Theoderich für den Namenszusatz »der Große« sorgte, war sein außenpolitischer Erfolg. »Sucht man nach etwas Originellem in Theoderichs Herrschaft, so ist vor allem sein Bündnissystem zu nennen«, urteilt Althistoriker Ausbüttel. »Dass dieses System schließlich am Expansionsdrang Chlodwigs und seiner Nachfolger scheiterte, nimmt ihm nichts von seiner ideellen Kraft.«
Früh hatte der Ostgote begonnen, verwandtschaftliche Bande zu anderen Königshäusern zu knüpfen. Seine Tochter Theodegotho hatte den Westgotenkönig Alarich II . geheiratet. Dadurch standen Amaler und Balthen, die führenden gotischen Adelsfamilien, in Waffenbrüderschaft. Tochter Ostrogotho ehelichte den burgundischen Thronfolger Sigismund. Höhepunkt der Heiratspolitik war im Jahr 500 die Hochzeit zwischen dem Vandalenkönig Thrasamund und Theoderichs Schwester Amalafrida. Damit hatte Theoderich die bedeutendsten germanischen Könige erstmals in der europäischen Geschichte zu einer »Familie« vereint. Wie sehr der Ostgote an die Macht des Adels glaubte, zeigt ein Brief an Frankenkönig Chlodwig, in dem er schreibt: »Die Herrscher verbinden sich durch Verwandtschaft, auf dass getrennte Völker sich eines gleichen Willens rühmen sollen.«
Als Oberhaupt dieser royalen Sippe sah Theoderich sich selbst. In langen Briefen bekniete er seine Mitregenten, Frieden zu halten. So riet er Chlodwig, dass es diesem Triumph genug sein sollte, »den äußerst wilden Alamannen« zu Tode erschreckt zu haben. Weiter solle der Franke es nicht treiben: »Nimm in solchen Fällen den Rat eines erfahrenen Mannes an: Jene Kriege gingen für mich gut aus, die maßvoll beendet worden sind.« Chlodwig schlug die Mahnung in den Wind; seine militärisch überlegenen Franken drangen 507 ungehindert ins westgotische Reich ein. Bei der Entscheidungsschlacht südlich von Poitiers wurde die westgotische Armee vernichtend geschlagen; König Alarich II . fiel im Kampf. Daraufhin wechselten auch die Burgunder ins antigotische Lager und drangen über die Pyrenäen bis nach Barcelona vor. Theoderich war blamiert.
Dass er mit dem Scheitern seiner Bündnispolitik nicht gerechnet hatte, zeigt, wie lange er brauchte, um ein Heer zum Gegenschlag zu rüsten. Erst ein gutes Jahr später, am 24. Juni 508, rückte sein Befehlshaber Ibba gen Gallien aus. Dabei traf Theoderich Vorsorge, dass die Bevölkerung, durch deren Gebiet seine Soldaten zogen, nicht geschädigt wurde. Seine Armee war gut mit Proviant versorgt; den betroffenen Provinzen wurden Steuern erlassen. Drei Jahre später hatte Ibba gesiegt. Die Burgunder in Iberien und an der Mittelmeerküste Septimaniens waren geschlagen. Gesalech, der uneheliche Sohn Alarichs II ., der dessen verwaisten Thron usurpiert hatte, war nach Afrika zu den Vandalen geflohen. Weil der rechtmäßige Thronfolger noch minderjährig war, übernahm Theoderich dessen Vormundschaft. Damit war er jetzt auch König des westgotischen Reichs.
Vom Balkan bis Spanien dehnte sich nun das gotische Imperium aus. Militärische Macht und nicht mehr sanfte
Weitere Kostenlose Bücher