Die Germanin
Jahr wird es zu einer Verbindung mit einer der ältesten römischen Patrizierfamilien, mit den Semproniern, kommen. Diese Heiratsangelegenheit hat höchste Bedeutung für die künftigen Beziehungen zu unseren römischen Freunden, sie ist sozusagen eine Staatsangelegenheit. Mit Publius Quinctilius Varus, dem neuen Statthalter, habe ich alles gründlich beraten. Der Caesar Augustus, dessen Freund er ist, wurde von ihm bereits unterrichtet. Selbstverständlich ist damit die Frage entschieden, welche Sippe die edelste im Stamm der Cherusker ist und wem die Führung zusteht. Diesen Anspruch hatte ich immer, und ich glaube, es gibt niemanden unter unseren Stammesgenossen, der ihn je anzweifelte.«
Diesen Worten folgte erneut ein langes Schweigen. Nelda stockte der Atem, sie konnte die Tränen nicht zurückhalten. Ramis, die neben ihr hockte, legte den Arm um ihre Schultern und flüsterte tröstende, wenn auch wenig hilfreiche Worte.
Endlich war wieder etwas von draußen zu hören. Es war Inguiomer, der jetzt sprach.
»So ist das also, Segestes«, sagte er mit seiner tiefen, polternden Stimme. »Das ist die Antwort, die du uns gibst. Eine kränkende Antwort! Wahrhaftig, das hat mein Bruder Segimer nicht verdient!«
»Euch zu kränken, war nicht meine Absicht«, erwiderte Segestes. »Aber was würde euch eine Antwort nützen, die nicht aufrichtig ist und nicht der Wahrheit entspricht?«
»So weit ist es also gekommen!«, führ Inguiomer immer erregter fort. »Für die Tochter des Römerfreundes Segestes ist einer der edelsten jungen Männer seines Volkes nicht gut genug! Sind die eigenen Stammesgenossen jetzt minderwertig? Wird Segifrit etwa verachtet, weil er im Heer der Römer dient? Wenn das so ist, wird sich in diesem Lande einiges ändern müssen. Denn sonst wird das Volk der Cherusker zugrunde gehen.«
»Ich bitte dich, Bruder, halt dich zurück!«, warf Segimer mit zitternder Greisenstimme ein. »Was redest du nur für Unsinn.«
»Das klingt nach Widerstand, nach Aufruhr!«, sagte Segestes scharf.
»Davon habe ich nichts gesagt«, gab Inguiomer zurück. »Versuche nicht, mich hereinzulegen. Du hast schon verstanden, was ich meine. Lenke nicht davon ab, dass du meinen Bruder, seinen Sohn, mich und unsere ganze Sippe beleidigst.«
»Ich habe euch nicht gerufen – und euch auf euer Begehren eine ehrliche Antwort gegeben. Nennst du das eine Beleidigung? Suchst du wieder Anlass zur Fehde?«
Auch unter den Gefolgsleuten beider Seiten regte sich Unmut, unfreundliche Bemerkungen wurden ausgetauscht. Bevor der Streit ein gefährliches Ausmaß annehmen konnte, mischte sich Frau Male ein. Sie empfahl den Besuchern, sich auszuruhen und bat sie, auf dem Herrenhof über Nacht oder länger zu bleiben. Auch Segestes schlug versöhnliche Töne an und wollte ein Mahl anrichten lassen. Doch Inguiomer lehnte ab und Segimer, der erschöpft und deshalb geneigt war, die Einladung anzunehmen, fügte sich.
Kaum angekommen, verschwanden die Brautwerber wieder. Vom Hügel aus sah man die zwanzig Berittenen mit den beiden hoch beladenen Wagen unten im Tal auf dem schmalen Pfad am Rande des Baches dahin ziehen. Dann nahm sie der Wald auf.
Auch Nelda folgte ihnen bis zuletzt mit ihren verzweifelten Blicken. Die nächsten Tage verbrachte sie in tiefster Niedergeschlagenheit. Alles schien ihr verloren zu sein, ihr Leben zerstört, ihre Zukunft eine einzige Folge trüber Tage, ohne Liebe, ohne Freude. Weder die tröstenden Worte der kleinen Ramis, die sich in der gleichen Lage sah, noch die ihrer Mutter linderten ihren Schmerz. Frau Male fand, sie solle nicht töricht sein und sich dem Willen des Vaters beugen. Denn es gehe nun einmal nicht nach den Weibern und die Männer, ihre Lenker und Beschützer, hätten die tieferen Einsichten in alles, was notwendig sei. Nähere Auskünfte über den Römer, dessen Namen ihr Vater genannt hatte, konnte Nelda jedoch von der Mutter nicht erhalten. So raffte sie sich nach ein paar Tagen auf und versuchte, sich dem Vater zu nähern. Segestes tat zunächst so, als bemerkte er sie nicht, gab sich geschäftig und vermied es sogar, ihrem Blick zu begegnen. Endlich gelang es ihr, sich ihm so in den Weg zu stellen, dass er nicht ausweichen konnte.
»Jetzt gib mir Antwort, Vater! Ich habe ein Recht darauf. Wer ist der Mann, dieser Römer, dem ich angeblich versprochen bin? Ich will es wissen.«
Er lächelte besänftigend.
»Warte, warte. Warum hast du es denn so eilig, Tochter? Noch bleibt viel Zeit bis
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