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Die Germanin

Titel: Die Germanin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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gelegt. Und viele verlangen…«
    »Was verlangen sie?«
    Segimund schluckte und stieß mühsam das Wort hervor: »Hinrichtung.«
    »Sie wollen ihn töten?«
    »Ja. Sie halten Gericht über ihn. Ich wollte zu seinen Gunsten sprechen, aber sie ließen mich gar nicht zu Worte kommen. Für die bin ich noch ein Römling, trotz allem. Die Mehrheit ist dafür, ihn…«
    »Und Arminius? Arminius?«, unterbrach sie ihn. »Ist er auch dafür?«
    »Nein. Und seine Stimme hat Gewicht. Er ist der Heerführer, der Sieger. Aber einige sprechen schon davon, dass er jetzt nicht mehr Heerführer ist. Der Krieg ist vorbei, sagen sie, also braucht man nicht mehr auf ihn zu hören als auf jeden anderen Stammesführer.«
    »So gibt es keine Hoffnung für Vater?«
    »Doch. Arminius glaubt daran, aber ich weiß nicht, was er vorhat. Es hat irgendetwas mit dir zu tun. Das ist nämlich mein Auftrag, Schwester. Ich soll dich zu ihm bringen.«
    »Zu ihm?«, rief sie. »Jetzt? Sofort?«
    »Ja! Er sagte, ohne Verzug. Traust du dir einen Ritt in der Nacht zu?«

 
17
     
    Noch vor Sonnenuntergang brachen sie auf. Nelda hatte Männerkleider angelegt, einen Dolch in den Gürtel geschoben und ihre langen blonden Zöpfe unter einer Kappe versteckt. Solche Vorsicht war dringend geboten. Man reiste nie sicher in germanischen Stammesgebieten, doch derzeit herrschte Gesetzlosigkeit. Plündernde Haufen zogen umher, in den Wäldern lauerte Räubergesindel. Trotzdem übernahm sie voller Ungeduld die Führung des kleinen Trupps. Sie saß besser zu Pferde als ihr Bruder und seine drei Begleiter. Zudem kannte sie im weiteren Umkreis die kürzesten und halbwegs sicheren Wege. Sie war den Männern meist um ein paar Pferdelängen voraus. Zum Glück herrschte ruhiges Wetter und ab und zu leuchtete ihnen sogar der Mond. Gegen Mitternacht hielt sie ein Fluss auf und sie mussten eine Furt suchen. Dann ging es bewaldete Hügel hinauf und wieder hinab. Sie führten die Pferde am Zügel und es gab ab und zu Streit um die einzuschlagende Richtung. Aber bald mussten sie nicht mehr befürchten, sich vielleicht verirrt zu haben. Der Pfad, auf den sie schließlich einbogen, war mit untrüglichen Zeichen markiert. Sie sahen Eisen schimmern und aus dem Dunkel die fahle Haut nackter, verwesender Leichen. Bei Tagesanbruch zeigte sich ihnen das ganze Ausmaß des Unheils: abgeschlagene Gliedmaßen, Fetzen von Kleidungsstücken, zerbrochenes Kriegsgerät, Wagenräder – am Wegrand verstreut, in den Schlamm getreten. Dazwischen, hin und her huschend, immer noch Plünderer, Frauen zumeist. Nachdem sie dem Todespfad der Legionen mehrere Meilen gefolgt waren, erblickten sie in einer Talmulde einen Weiler. Aus verstreuten Häusern und Hütten stieg Rauch auf, dazwischen wimmelten Menschen. Segimund erkannte den Ort – sie waren am Ziel.
    Sie beeilten sich mit dem Abstieg und fanden das Heerlager der germanischen Stämme bereits in Auflösung. Immer wieder mussten sie mit Beutegut beladenen Haufen ausweichen. Von einigen erfuhren sie, dass sie nach Aliso aufbrachen, zur Verstärkung der Belagerer. Die Festung sei umstellt, hieß es, alle Versuche der eingeschlossenen Römer, sich noch zum Rhenus durchzuschlagen, würden aussichtslos sein. Nelda dachte an Gaius, den Senator und die anderen und hoffte, dass sie rechtzeitig weitergereist und entkommen waren.
    Unten angelangt, führte sie Segimund in das größte der Gebäude. Ein Eckpfosten war verkohlt, andere Pfeiler und Balken zeigten Brandspuren. Offenbar hatten die Verfolger hier Flüchtende aufgebracht und Feuer gelegt. Der Regen musste jedoch verhindert haben, dass das Haus abbrannte. Als Nelda eintrat, fand sie, dicht gedrängt auf den Bänken längs der Wände, unter dem halb zerstörten Dach beieinandersitzend, an die fünfundzwanzig, dreißig Männer, vorwiegend Graubärte, von denen sie wusste, dass es Gaufürsten und Sippenälteste waren, die den Kriegsrat und das Gericht bildeten. Und da bemerkte sie schon Arminius, der sich erhob und ihr entgegentrat.
    Er sah erschöpft aus, seine hellen Augen waren schwarzblau umrandet und lagen tief in den Höhlen. Sein Bart war lange nicht rasiert. Eine schmutzige Wundbinde war um einen seiner Unterarme gewickelt. In seinem zerrissenen Mantel, an dem Dornen und Laub hingen, ähnelte er wenig einem Feldherrn, der gerade das Heer des Imperiums geschlagen hatte.
    »Wie gut, dass du da bist!«, sagte er und ergriff ihre Hände. »Höchste Zeit, ich hätte sie nicht mehr lange hinhalten

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