Die Germanin
können.«
Er führte sie und Segimund in die Mitte. Ein Haufen zerbrochener Lehmplatten bezeichnete die Stelle, an der einmal der Herd des Hauses gestanden hatte. Nelda fühlte sich in ihrer Verkleidung ein bisschen lächerlich und nahm ihre Kappe ab, sodass ihre aufgelösten Zöpfe über die Schultern und den Rücken fielen. Von allen Seiten wurde sie angestarrt. Es waren neugierige, misstrauische, strenge Blicke. Nur einige dieser grobgesichtigen Stammesoberen hatte sie schon einmal gesehen, bei Besuchen auf dem heimischen Wehrhof oder kürzlich im Sommerlager. Die meisten waren ihr unbekannt.
»Männer«, sagte Arminius, »unterbrechen wir unsere Beratung und bringen wir die Sache zu Ende, bei der wir uns nicht einigen konnten. Holt ihn her!«, befahl er zwei mit Schwertern bewaffneten Gefolgsleuten.
»Hier seht ihr die Kinder des Segestes«, fuhr Arminius fort. »Seinen Sohn habe ich euch schon vorgestellt, leider wolltet ihr ihn nicht anhören. Aber ich wiederhole: Es war nicht sein Wunsch und seine Entscheidung, den Römern als Priester zu dienen. Und als er erfuhr, dass wir zum Kampfe rüsteten, tat er etwas, das in ihren Augen ein schweres Verbrechen ist: Er zerriss seine Priesterbinden! Unsere Götter strafen ihn nicht dafür, dass er ihnen vorübergehend abtrünnig wurde, sie hätten es wohl sonst längst getan. Er schloss sich uns an, griff zum Schwert und alle, die bei ihm waren, bezeugen seine Tapferkeit. Bedenkt das, Männer, wenn ihr über den Mann richtet, der einen solchen Sohn zeugte und großzog!«
Diesen Worten folgte ein unwilliges Gemurmel. Im selben Augenblick richteten sich alle Blicke nach der Tür, wo die beiden Gefolgsleute erschienen und den an Händen und Füßen mit Ketten gefesselten Segestes hereinschoben. Nelda erschrak beim Anblick ihres Vaters, über die furchtbare Veränderung in nur wenigen Tagen. Der hochgewachsene Mann ging gekrümmt, sein Gesicht war eingefallen, die Haut war an mehreren Stellen aufgeplatzt und wies rotblaue Schwellungen auf, die offensichtlich von Fausthieben herrührten. Er trug keinen Gürtel und keine Schuhe, sein Kittel und seine Hose waren nur noch schmutzige Lumpen.
Schmähworte wurden ihm entgegengerufen. Er warf einen stieren Blick in die Runde und entdeckte sofort das einzige weibliche Wesen im Raum.
»Du – Tochter? Was tust du hier? Wie kommst du hierher? Was hast du hier verloren?«, fuhr er sie mit einer Stimme an, die von den geschwollenen Lippen und abgebrochenen Zähnen verzerrt wurde.
»Vater…«
»Ihr hört es«, sagte Arminius, an die Versammlung gewandt, »dies ist seine Tochter Thusnelda. Sie ist hergeeilt, um…«
»Was willst du von ihr?«, krächzte der Gefesselte. »Was hast du mit ihr vor? Sie hat ihrem Vater zu gehorchen, nur ihrem Vater! Ah, da ist ja auch mein treuloser Sohn…«
»Schweig jetzt!«, sagte einer der beiden Männer, die ihn weiter gepackt hielten, als könnte er trotz der Ketten entkommen. »Wenn der Heerführer redet, hast du das Maul zu halten!«
»Oder müssen wir es dir deutlicher sagen?«, drohte der andere.
»Was habt ihr mit ihm gemacht?«, schrie Nelda. »Wie habt ihr ihn zugerichtet!«
»Lasst ihn los!«, sagte Arminius. »Und behandelt ihn so, wie ich es befohlen habe. Und du, Segestes, warte ab. Was du zu deiner Verteidigung zu sagen hattest, konntest du gestern schon vorbringen. Diese Männer werden jetzt über dich richten. Aber vorher sollen sie etwas hören, das sie bei ihrem Urteil berücksichtigen mögen: Es war seine Tochter, die ihr hier vor euch seht, von der ich erfuhr, dass wir verraten waren. Sie hatte die Kühnheit, sich zu mir durchzuschlagen. Sie entdeckte mir, dass sich der feige Boiacalus, der sich später, während wir kämpften, davonschleichen konnte, ihrem Vater anvertraut hatte. Segestes tat dann, was er aufgrund seiner Überzeugung tun musste: Er warnte Varus. Aber auch ich war gewarnt! Ich war vorbereitet – dank dieses tapferen Mädchens! So war ich nicht überrascht und bestürzt und verriet mich nicht selbst. Und es entstand unserer Sache kein Schaden. Bedenkt auch das, Männer, wenn ihr urteilt. Und sollte sie euch darum bitten, das Leben ihres Vaters zu schonen, lasst Milde walten!«
Arminius gab Nelda ein Zeichen zu sprechen. Sie dankte ihm mit einem Blick, trat einen Schritt vor und holte tief Atem. Doch ehe sie etwas sagen konnte, stieß Segestes einen Schwall von Verwünschungen aus. Er schrie, nun wisse er, was er geahnt habe. Eine Missratene sei sie,
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