Die Germanin
eine von bösen Geistern Besessene, eine, die nicht seine Tochter sein könne, und er verbiete ihr, für ihn zu bitten. Er wolle auch keinen Sohn mehr haben, wenn es einer sei, der treulos den Platz verlasse, für den ihn sein Vater bestimmt hat. Da er nicht aufhörte, Nelda und Segimund zu beschimpfen und da Befehle ihn nicht zum Schweigen brachten, Arminius aber noch mehr Gewalt gegen ihn untersagte, blieb nichts anderes übrig, als ihn fortzuzerren und hinauszuführen. Noch während er mit den Ketten klirrend das Haus verließ, stieß er Flüche aus.
»Ich bitte euch«, wandte sich Nelda nun an die Männer ringsum auf den Bänken, »verzeiht ihm und habt Verständnis für ihn. Er ist ein Gaufürst wie mancher von euch, und solche Behandlung ist ihm noch nie widerfahren. Er ist verwirrt, er ist außer sich! Verzeiht ihm, dass er so handelte, wie er glaubte handeln zu müssen. Er schloss sich den Römern an, weil er das Gute sah, das sie uns brachten… Straßen, Brücken und vieles, was uns das Leben leichter machte. Er fand, weil sie im Lande waren, herrschte mehr Frieden und Eintracht unter den Stämmen, und das war besser als die vielen Kriege, Fehden und Raubüberfälle. Seinen Sohn, meinen Bruder Segimund, und sogar mich, seine Tochter, ließ er lesen und schreiben lernen…«
An dieser Stelle erscholl der erste empörte Zwischenruf. Weitere folgten, je länger Nelda versuchte, ihren Vater zu rechtfertigen. Sie begriff, dass es ein Fehler war, aber sie konnte nicht mehr innehalten. Warum war sie nicht auf die Knie gesunken und hatte einfach nur um Gnade gefleht? Bald konnte sie sich gegen die Entrüsteten kaum noch durchsetzen und als sie versuchte zu erklären, ihr Vater sei ja auch für die Freiheit, was dadurch bewiesen sei, dass er trotz mancher Bedenken zuletzt mit seiner Gefolgschaft doch noch in den Freiheitskampf gezogen war, schlug ihr Hohngelächter entgegen. Und einer schrie, der »Freiheitskämpfer« Segestes habe nur beim Verteilen der Beute dabei sein wollen.
Nelda warf Arminius einen verzweifelten Blick zu. Er gebot Ruhe, konnte sich aber nicht durchsetzen. Die lautesten Rufer verlangten, nicht mehr länger zu zögern und mit dem elenden Römling ein Ende zu machen. Hätten er oder seine Tochter ein Wort für sie eingelegt und um Milde gebeten, wenn Varus an jenem Abend befohlen hätte, sie alle ans Kreuz zu schlagen?
»Du belügst uns, Arminius!«, schrie mit heller Stimme einer der Jüngeren. »So wie seine Tochter hier redet, ist sie uns feindlich gesinnt – wie er selbst!«
Er hatte diese Worte kaum ausgestoßen, als der Heerführer ihn von der Bank riss, schüttelte und wütend von sich schleuderte. Der mit silbernem Schmuck und Waffen behängte Mann glitt aus und krachte zwischen aufstiebenden Sägespänen zu Boden. Augenblicklich trat Ruhe ein. Einen solchen Zornesausbruch ihres sonst in jeder Lage beherrschten Feldherrn hatten die wenigsten je erlebt.
»Das möge dir eine Lehre sein, Tammo«, sagte Arminius zu dem Mann »Steh auf! Zwei Gründe gibt es, weshalb ich dich jetzt nicht noch mehr bestrafe. Der erste: Du hast tapfer gekämpft, warst auf der Walstatt einer der Besten. Der zweite: Du konntest ein Geheimnis nicht kennen, das ich euch nun allen enthüllen werde. Die Tochter des Angeklagten, die du gerade geschmäht hast, ist meine Hiwa. Ja, das ist sie – sie ist meine Frau!«
Diese Worte hatten erst recht vollkommene Sprachlosigkeit zur Folge. Der Gemaßregelte auf dem Boden vergaß aufzustehen und seinen Platz auf der Bank wieder einzunehmen.
Nelda, am meisten überrascht und betroffen, presste die Fäuste zusammen, um das Zittern, das ihren ganzen Körper befallen wollte, zu unterdrücken. Arminius sah sie an und sein ernster Blick bat um Einverständnis, Bestätigung. Wie sollte sie zögern? Er streckte die Hand aus und sie legte die ihre hinein. Dabei lächelte sie und kämpfte auch ihre Tränen nieder. Sie wollte jetzt stark sein und seiner würdig.
»Nun kennt ihr unser Geheimnis, Männer«, fuhr Arminius fort, und seine hellen Augen in den blauschwarzen Höhlen strahlten plötzlich Heiterkeit aus. »Wir leben in einer Zeit, in der nicht mehr alles so ist wie früher. Es ist Krieg – aber sollen sich deshalb Männer und Frauen nicht lieben und zueinanderfinden? Das mag etwas anders als sonst geschehen, so wie es die Umstände ergeben. Nicht alle Bräuche werden beachtet, nicht alle Verwandten sind einverstanden…«
»Aber die meisten!«, tönte es aus einer
Weitere Kostenlose Bücher