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Die Gerüchteköchin

Die Gerüchteköchin

Titel: Die Gerüchteköchin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Crusie
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müsse der Traum gewesen sein, aber dann fiel ihr alles wieder ein, und das war so schrecklich, dass sie in Tränen ausbrach. Manchmal wusste sie beim Aufwachen alles, und es fühlte sich an, als wache sie mit einem Gewicht auf der Brust auf, was beinahe noch schlimmer war, weil sie dann noch nicht einmal einen kurzen Augenblick des Glücks empfand. Und manchmal wurde sie einfach wach und blieb regungslos liegen, weil sie sich fragte, warum sie und ihre Mom überhaupt aufstehen sollten. Es gab nichts zu tun, sie wollte noch nicht einmal mit Mel sprechen, weil Mel sich solche Mühe gab, nett zu sein, dass jede Unterhaltung mit ihr furchtbar war. Mit ihrer Mutter zu reden hatte erst recht keinen Sinn, weil sie log. Sie hatte Em erzählt, dass alles besser werden würde, wenn sie beide wieder zur Schule gingen, aber es war nur noch schlimmer geworden. Außerdem sah sie schlecht aus, aber wenn Em sie fragte, was los sei, behauptete sie nur, nichts sei los, es ginge ihr gut, aber das war eine Lüge.
    Die Schule war auch eine Lüge. Jeder tat so, als sei alles in bester Ordnung, obwohl jeder wusste, dass dem nicht so war. Alle Lehrer waren wirklich sehr nett zu ihr und zeigten ihr mit Blicken, dass es ihnen ehrlich leid tat, während die anderen Kinder sie anschauten, als sei sie aus einem Zoo entsprungen. Daher schenkte sie allen außer Mel keine Beachtung, und noch nicht einmal mit Mel sprach sie viel. Seit dem Mittagessen am Donnerstag hatte sie gar nicht mehr mit ihr geredet. Sie waren gerade dabei, ihre Milchtüten aufzureißen, als Mel sie fragte: »Die Kinder sagen, dein Daddy ist erschossen worden, stimmt das?« Em hatte diese Gerüchte auch schon gehört - beim ersten Mal hatte sie sich beinahe übergeben müssen -, aber in diesem Moment stand sie auf, sagte: »Das ist gelogen« und ging einfach fort. Mel rief ihr hinterher, dass es ihr leid tue, aber Em ging weiter, und am Freitag saß sie alleine beim Essen. Alles war besser, als sich mit irgend jemandem unterhalten zu müssen.
    Später, am Nachmittag, hatte Em ihre Mathehausaufgaben nicht gemacht, aber ihr Lehrer meinte nur: »Schon in Ordnung, Em«, so dass sie am liebsten gebrüllt hätte: »Ich habe sie einfach vergessen, es liegt nicht daran, dass mein Daddy gestorben ist, nichts liegt daran, dass mein Daddy gestorben ist«, aber sie blieb stumm. Sie würden nur denken, dass irgend etwas mit ihr nicht in Ordnung sei, wenn sie so losbrüllen würde.
    Tatsächlich allerdings hätte Em am liebsten losgebrüllt.
    Als sie nach der Schule aus dem Bus stieg und ins Haus kam, war alles still. Es klingelte kein Telefon, niemand redete, nur Phoebe kam auf sie zugesprungen. Sie ging mit Phoebe nach draußen, und fünf Minuten später sah sie ihre Mom nach Schulschluss der High-School in dem Mietwagen, den C.L. ihnen besorgt hatte, die Einfahrt herauffahren. Ihre Mom stieg wie eine alte Frau aus dem Auto. Sobald sie Em sah, winkte sie und lächelte, aber es war ein schreckliches Lächeln. Niemand würde einem solchen Lächeln glauben.
    Em wartete, bis ihre Mutter ins Haus gegangen war, bevor sie Phoebe zu sich rief, auch hineinging und sich an den Küchentisch setzte, die Hände vor sich gefaltet, damit sie nicht zitterten. »Ich muss mit dir reden«, sagte sie, woraufhin ihre Mutter sie ansah, als sei sie nicht sicher, ob sie Em überhaupt kenne.
    »Was meintest du, mein Schatz?«
    »Ich muss mit dir reden.« Em gab sich Mühe, ihre Stimme kräftig klingen zu lassen, obwohl ihr innerlich ganz erbärmlich zumute war. »Mel sagt, Daddy ist erschossen worden. Sie sagt, Daddy ist tot, weil jemand ihn erschossen hat. Mit einer Pistole.«
    Ihre Mutter sackte ihr gegenüber auf den Stuhl und schloss die Augen. »Em, ich habe dir doch gesagt, dass es ein Unfall war. Ich habe dir gesagt -«
    »Ich will die Wahrheit wissen.« Em presste die Zähne zusammen und versuchte, nicht zu schreien. »Sag mir die Wahrheit.«
    »Jemand hat deinen Daddy aus Versehen erschossen«, sagte ihre Mom, wich jedoch Ems Blick aus. Em wurde schlecht. Noch eine Lüge. »Ich habe dir gesagt, dass es ein Unfall war. Es hat ihm nicht weh getan, Em. Er hat es noch nicht einmal gespürt. Ich habe dir das nicht erzählt, weil ich nicht wollte, dass du darüber nachdenkst. Versuche einfach, nicht daran zu denken. Es war ein Unfall.«
    Noch eine Lüge, noch eine Lüge. Em war so böse, dass ihr richtig schlecht wurde, und das machte ihr angst. Sie war böse auf ihre Mom, aber wenn sie ihre Mom nicht hätte,

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