Die gesandte der Köingin Tess 2
hohen Farn auf und bewegte sich langsam, während er jemandem lauschte. Er kam beinahe lächerlich langsam um eine Biegung und erschien mit einer krummen alten Frau. Jeck trug einen geflochtenen Korb mit Stofffetzen und Strandgut darin. Ich vermutete, dass sie nach dem Sturm Strandgut »geborgen« hatte.
Ihr vom Alter vergrautes Kleid blähte sich im Wind und zeigte ihre spindeldürren Knöchel. Stoffstreifen und Seilstücke waren um ihre Taille gebunden, was den Eindruck erweckte, als trüge sie nichts als Lumpen, obwohl darunter ein langer Rock steckte. Sie ging barfuß, und ihre Zehen waren so braun wie ihre runzligen Wangen. Auf ihrem Kopf saß ein Strohhut mit breiter Krempe. Das graue Haar war zu einem langen Zopf geflochten, der ihr bis zur Taille reichte. Sie hielt Jecks Arm fest umklammert, während sie sprach, und blickte keinen Moment lang von dem Sand vor ihren langsam dahinspazierenden Füßen auf. Ihre Finger waren knotig und stark, und trotz ihres offenkundigen Alters machte sie eigentlich nicht den Eindruck, dass sie eine Stütze brauchte.
Als hätte sie meinen aufmerksamen Blick gespürt, hob sie den Kopf. Ihre Augen waren so blau, dass ich sie vom Floß aus erkennen konnte. Ihr faltiges Gesicht legte sich in tiefe Runzeln, als sie lächelte. »Ah, da ist sie ja!«, rief sie mit hoher, aber kräftiger Stimme. »An den Mast gebunden, was? In den Sturm geraten, wie? Wundert mich nicht. Kam ja einfach so, ohne das leiseste Zwicken in meinen Knien. Das hat’s seit achtundzwanzig Jahren nicht mehr gegeben.«
Sie lachte gackernd, und Jeck verzog das Gesicht und begegnete nur kurz meinem Blick, während sie ihn mit sich zog, denn sie hatte seinen Arm immer noch nicht losgelassen.
»Hallo!«, rief ich und versuchte, mich zu bewegen. »Habt Ihr ein Messer, Madam?«
Sie lachte wieder und antwortete dann: »Aber ja, Herzchen. Hat das Wasser die Knoten angezogen?«
Ich sah ihr lächelnd entgegen, als sie auf das Floß zuhumpelte. »Hab immer ein Messer dabei«, sagte sie und zeigte dabei schlechte Zähne, während sie zwischen ihren Lumpen und Seilen an sich herumtastete. Beweglicher, als man ihr zugetraut hätte, hievte sie sich auf das schräg geneigte Floß und rutschte zu mir heran. Sie roch nach gebrühten Muscheln und stieß einen freudigen Ruf aus, als ihre Finger ein zerschlissenes rotes Band mit einem Messer daran fanden, das um ihre Hüfte hing. Sie schürzte die Lippen, lehnte Jecks leises Angebot, ihr zu helfen, ab und zerschnitt seine Seidenschärpe selbst. Der Stoff teilte sich blitzschnell – ein Hinweis auf ein sehr scharfes Messer oder sehr starke Muskeln. Ich hätte darauf gewettet, dass es ein wenig von beidem war.
»Oh, danke sehr«, stöhnte ich, als schmerzhafte Stiche durch meine Arme zuckten und ich sie zum ersten Mal seit vielen Stunden beugte. Ich blinzelte gegen den Schmerz an und rückte vom Mast ab. Ich wollte aufstehen, überlegte es mir aber anders, als ich merkte, dass meine Beine mir noch nicht gehorchen wollten. Also blieb ich sitzen, rieb mir die Arme und zupfte an den Knoten herum, die immer noch an meinen Handgelenken saßen.
»Gern geschehen, Herzchen.« Die alte Frau strahlte mich aus dem Schatten ihrer breiten Hutkrempe hervor an. »Ich war zu meiner Zeit auch an mehr als einen Mast gefesselt.« Sie lachte. »So habe ich meinen Ehemann eingefangen, möge seine Seele in Frieden ruhen.«
Verlegen streckte und krümmte ich die Hände. »Das war nur, damit ich nicht von Bord gespült werde«, erklärte ich, und Jeck stellte ihren Korb auf das Floß und trat einen Schritt zurück.
»Aber natürlich.« Sie musterte mich abschätzend. »Nicht viel dran an Euch, was?«
Sprachlos starrte ich sie an. So hatte noch nie jemand mit mir gesprochen.
Sie streckte einen zweigdürren Arm aus, packte meinen Unterarm und zwickte prüfend in den Muskel. »Könntet doch ganz nützlich sein.«
»Wie bitte?« Vor Überraschung entglitten mir sämtliche Gesichtszüge. Jeck, der hinter ihr stand, grinste und amüsierte sich offensichtlich auf meine Kosten. Ich rutschte an den Rand des Floßes und konnte ein schmerzerfülltes Stöhnen nicht unterdrücken, als meine Füße über den Rand hinabbaumelten.
»O weh, Ihr seid gar nicht gut beieinander, Mädchen«, sagte sie darauf. »Kommt mit in mein Haus. Es liegt gleich hinter der Düne da. Ich habe ein gutes Einreibemittel gegen Schmerzen. Ihr könntet eine Tasse Tee trinken. Meinen Sohn kennen lernen. Er ist ein guter Junge, jetzt, da
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