Die gesandte der Köingin Tess 2
zu bleiben, damit er nicht glaubte, dass mir das zu schaffen machte. »Und wie gesagt, das war nichts, womit ich nicht fertig geworden wäre. Du hast es ja gar nicht richtig versucht.« Er überraschte mich mit einem leisen Lachen. »Du warst wie der Wind: wankelmütig, kapriziös … verschlagen.« Ich runzelte die Stirn und entzog mich der Berührung seines Bartes. »Klingt ja ganz so, als hättest du es genossen«, erwiderte ich sarkastisch.
»Vielleicht habe ich das ja.«
Das gefiel mir nun gar nicht. Die ganze Nacht entglitt mir wie ein Traum und hinterließ nur ein Gefühl tiefer Trauer. Ich wusste, woher es kam. Dieser melancholische Schmerz wurde schlimmer, wenn der Wind auffrischte, so dass ich jedes Mal den Kopf hob und mein Herz zu pochen begann. Er hatte mir gehört, und ich hatte ihn verloren. Jeck hatte mich gezwungen, ihn gehen zu lassen. Ich wusste, dass der Wind mich in den Wahnsinn getrieben hätte, und ich war Jeck dankbar – doch der Verlust blieb schmerzlich.
»Na endlich.« Er seufzte auf, als sich der letzte Knoten löste und er freikam. Stöhnend erhob er sich auf die Knie und krabbelte um den Mast herum. Sein Schatten fiel über mich, und er wurde zu einer schwarzen Silhouette. Er sah erschöpft aus.
In seiner durchweichten Uniform setzte er sich im Schneidersitz vor mich hin. Hinter ihm ging die Sonne auf, und sein Haar und Bart waren noch nass von der Flutwelle, die uns zehn Meter über die Flutmarke hinausgeschleudert hatte.
»Warum tut mein Hals so weh?«, fragte ich und hoffte, er werde die immer größeren Gedächtnislücken füllen.
»Du hast viel geschrien.«
Ich schwieg dazu, halb verlegen, halb verängstigt. Dann: »War es schlimm?«
Er presste die Lippen zusammen, so dass sie fast hinter seinem Bart verschwanden. »Schon möglich.« Sein Blick huschte an dem geborstenen Mast empor. Ich betrachtete sein Gesicht und sah sowohl seine selbstsichere Kraft als auch seine Sorge um mich in den Tiefen seiner Augen. Ich wandte den Blick ab, als er den Kopf wieder senkte; mir war kalt, und das nicht nur, weil seine Körperwärme jetzt fehlte und er mir die Sonne nahm. Er war ein Meisterspieler, ich eine Schülerin. Gott steh mir bei, ich musste ihm ja so dumm erscheinen. »Danke«, sagte ich.
»Sag das nicht immerzu.«
Ich blickte auf, als sich sein Schatten verschob. »Warum?«, fragte ich bitter, während er an den Knoten in seiner seidenen Schärpe arbeitete. »Darf ich dir nicht dafür danken, dass du mir das Leben gerettet hast? Oder fühlst du dich so unwohl damit, dass du Gefühle haben könntest, die du nicht akzeptieren kannst – dass du etwas für jemanden getan haben könntest, das für dein dummes Spiel gar nicht nötig gewesen wäre?«
Jecks Gesicht nahm einen finsteren Ausdruck an, und er musterte mich nachdenklich unter gerunzelten Brauen hervor. »Ich habe dir das Leben nicht aus irgendeiner fehlgeleiteten Emotion heraus gerettet. Wenn du gestorben wärst, wäre der Wind ebenfalls gestorben. Und wir sind so gut vorangekommen.«
Ich stieß den Atem aus. »Also«, erwiderte ich verschnupft, »hast du mich nur um des Spiels willen am Leben erhalten?«
»Ja.« Das war knapp und gefühllos, und als ich ihn so betrachtete, wie er mit geschwollenen Fingern die Knoten zu lösen versuchte, glaube ich ihm beinahe. Doch ich erinnerte mich an seine gut verborgene Trauer, weil er eine geliebte Frau getötet hatte, und deshalb glaubte ich ihm eben nicht ganz.
»Dann solltest du dich wohl bei mir bedanken.«
Er sagte nichts und neigte tief den Kopf. Schweiß und Meerwasser klebten ihm das wellige Haar an den Kopf. Ich musste schrecklich aussehen. Obwohl ich wusste, dass ich mein Glück damit strapazierte, sagte ich: »Du hättest mich aber nicht dazu bringen müssen, den Wind wieder loszulassen. Du hättest ebenso gut zulassen können, dass ich damit verloren gehe.«
»Dann wäre ich den ganzen Vormittag an eine Wahnsinnige gefesselt gewesen«, entgegnete er tonlos.
Ich fuhr mir mit der Zunge über die rissigen Lippen, als die Erinnerung an den Wind mich erfüllte. Ich würde ihn nie wieder rufen. Es war allzu leicht, sich darin zu verlieren. Dass ich es überhaupt geschafft hatte ihn dieses eine Mal herbeizurufen, glich einem Wunder. Ich hätte es auch nie versucht, wenn es nicht um Duncans Leben und das meiner Schwester ginge. »Du irrst dich, weißt du?«, bemerkte ich unvermittelt.
»Worin denn?«
Ein scharfer Schmerz brach meine Entschlossenheit, keinen Laut von mir
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