Die gesandte der Köingin Tess 2
wie ist sie so schnell hierhergekommen? Wir haben die beiden doch auf dem Schiff zurückgelassen –«
»Smitty!«, bellte Kapitän Rylan und musste sich sichtlich beherrschen, um den verängstigten, abergläubischen Mann nicht zu ohrfeigen. »Maul halten.«
Kavenlow musste den Blick offenbar von mir losreißen, um den protzig gekleideten Kapitän in seinem verblassten Staat streng zu mustern. »Zurückgelassen, Kapitän Rylan?«, fragte er, jede Silbe präzise und schwer vor Ärger. »Ihr habt behauptet, sie sei mit der Besatzung der Strandläufer ums Leben gekommen.«
»Das wäre wohl eine Frage der Interpretation, Kanzler.« Meine Stimme war ruhig und geschliffen, was selbst mich überraschte. Der Hauptmann von Contessas Garde hatte sich leise entfernt und war gegangen, und ich hörte, wie die ferne Tür geschlossen wurde.
Kavenlow trat vor und nahm meine Hand. »Prinzessin« war alles, was er sagte, als er den Kopf über meine schmutzverkrusteten Fingern neigte, wie es sich zur Begrüßung gehörte. Beinahe wäre ich in Tränen ausgebrochen. Ich wollte mich an seine Schulter lehnen und schluchzen – und bekam doch nur diese höfliche Geste. Kavenlows Hand zitterte, als er meine Finger losließ. »Hauptmann Jeck«, sagte er gelassen und wandte sich Jeck zu. »Es freut mich, Euch zu sehen.«
»Kanzler«, sagte Jeck leise, ohne Kapitän Rylan oder Smitty eines Blickes zu würdigen oder meinen Ellbogen loszulassen. »Ich würde Euch gern in einer Angelegenheit von beiderseitigem Interesse sprechen, sobald es Euch recht ist.«
Ein schmales Band der Panik schlang sich um mein Herz und zog sich zu. Kavenlow sah es mir an, und sein Gesicht wurde ausdruckslos. Eine Angelegenheit von beiderseitigem Interesse? Da Jecks Hand noch meinen Ellbogen umfasste, konnte er damit nur eines meinen. Mich.
Ich versuchte, von Jeck abzurücken, und er legte die andere Hand auf meinen Arm, um es zu verhindern. Mein Puls raste, und obwohl ich mich bemühte, ihn zu zügeln, wirbelte der Wind plötzlich durch meinen Kopf. Von draußen war das Rascheln alten Laubs an den großen Glasscheiben zu hören. Gift wurde in meine Adern gepumpt, und mein Blick verschwamm. Verängstigt legte ich die schwache rechte Hand auf Jecks Arm und gab einen warnenden, schmerzhaften Impuls an ihn ab. Es war nur ein Bruchteil der Intensität, die ihn töten würde, doch ich wusste, dass er den Impuls gespürt hatte, denn er zuckte zusammen.
Jeck zog beiläufig die Hand von meinem Arm und lenkte mich zu einer Bank. Ich ließ die schwachen Knie einknicken und setzte mich gehorsam auf den Platz, an den er mich geführt hatte. Ich zitterte innerlich. Er sagte nichts, nahm aber neben mir locker Haltung an, den Arm, den ich berührt hatte, halb hinter dem Rücken verborgen. Während ich mich wieder fasste und die Blätter draußen zu Boden sanken, konnte ich Kavenlows stumme Frage förmlich spüren, die sich schwer auf mich herabsenkte, als er erst mich, dann Jecks steife Haltung betrachtete. Offensichtlich wusste er, dass irgendetwas zwischen uns geschehen war, aber nicht, was.
Mir war schlecht. Jeck wehzutun, war so leicht gewesen, wie als Kind vom Palast des Turms zu spucken. Diesmal war er nicht vorgewarnt gewesen, und ich vermutete, dass er nicht so viel Kontrolle über den tödlichen Impuls hatte wie ich. Eigentlich hätte ich erfreut sein sollen, weil ich das, was er mich gelehrt hatte, einen Schritt weiterentwickelt hatte, doch das ängstigte mich umso mehr. Was war aus mir geworden?
Die beiden Piraten hatten das kleine Drama nicht bemerkt und sich wieder an den Tisch zurückgezogen. Einer saß selbstsicher da mit seinem fadenscheinigen Prunk und den vielen Ringen an den Fingern, der andere stank nach Angstschweiß, weil ich noch lebte und hier vor ihnen saß. Der Gedanke an meine Schwester verdrängte alles andere aus meinem Kopf, und ich beugte mich zu Kapitän Rylan vor, sanft, ruhig und mit der Anmut vergessener Königinnen.
»Sollte meine Schwester in schlechterem Zustand zu mir zurückkehren, als ich sie zuletzt gesehen habe, werde ich entsetzliche Dinge tun, Kapitän Rylan«, erklärte ich. Meine Stimme klang so kalt, dass sogar mich davon fröstelte.
Rylan war sich der Gefahr hinter meiner Drohung nicht bewusst, denn er lächelte, als hätte er sich am liebsten vorgebeugt, um mir die Hand zu tätscheln. Smitty hörte sie allerdings, und er wurde bleich, stand auf und versteckte sich beinahe hinter seinem Kapitän. Kavenlows Miene wirkte
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