Die gesandte der Köingin Tess 2
Blick unübersehbar. Er drückte sie an sich und stahl sich zur allgemeinen Begeisterung einen flüchtigen Kuss, als sie durch das Stadttor ritten.
Mein Blick hob sich von den strahlenden Gesichtern, voller Freude und Erleichterung darüber, dass ihr Leben unverändert weitergehen würde, nun, da ihre königliche Familie sicher heimgekehrt war. Die schmalen Straßen hallten wider vor zahllosen Stimmen, die die frohe Botschaft an jene weitergaben, die nicht selbst einen Blick erhaschen konnten. Automatisch streichelten meine Hände das Pferd, um es zu beruhigen, und als ein fröhlicher junger Gardist in der Palastuniform danach griff, überließ ich ihm die Zügel. Der Lärm fühlte sich an wie ein drückendes Gewicht, und mein Blick suchte nach einem unbewegten Fleckchen inmitten des jubelnden Durcheinanders, an dem er sich festhalten könnte. Ich blinzelte, als mein Blick auf Thadd fiel.
Der stämmige Bildhauer stand hoch über der Menge auf einem Dach. Sein rundes Gesicht drückte pure Verzweiflung aus, als er auf die Prozession hinabschaute, den Blick wie gebannt auf seine geliebte Contessa gerichtet. Ich dachte an Alex’ Kuss, den sie eben erwidert hatte, und wusste, dass Thadd es auch gesehen haben musste – wusste, dass er die Zärtlichkeit und Liebe darin erkannt hatte – wusste, dass er bis ins Mark getroffen war.
Mit hängenden Schultern stand er da wie ein geprügelter Hund. Er rührte sich nicht, doch ich sah, wie etwas in ihm starb.
Ein Funken geteilter Gefühle wirbelte in mir hoch. Ich war nicht die Einzige, die solchen Kummer litt, dass die gemeinschaftliche Freude um mich herum mich nicht aufmuntern konnte. Darin sind wir gleich, dachte ich, als die Flut der Jubelnden uns um eine Ecke auf die breite Prachtstraße schob, die schnurgerade zum Palast führte.
Wir beide hatten den falschen Menschen geliebt. Duncan hatte mich betrogen, weil er seine Seele an die Gier nach Reichtum verloren hatte. Contessa war einem ehrenhaften, edlen Mann verfallen, der sie durch die Hölle begleitet und vielleicht vor dem Tod gerettet hatte. Dafür konnte ich sie nicht verurteilen. Mir kam der Gedanke, dass Thadds Liebe zu Contessa nicht geringer wurde, weil diese einen anderen liebte. War meine eigene Liebe zu Duncan dann also auch wahrhaftig und rein, obwohl er mich nie geliebt hatte?
Ich wusste es nicht.
Ich verlor Thadd aus den Augen, als wir um die Kurve ritten. Der Wind frischte auf und füllte meinen Kopf mit Ungewissheiten. Er lachte und höhnte, und ich hob die Hand, um mein Haar festzuhalten, obwohl die Banner, die zur Feier des Tages aus allen Fenstern hingen, sich kein bisschen bewegten.
27
Nach Wochen auf See erschien mir die Luft trotz der Feuchtigkeit angenehm warm, nur weil sie still war. Ich kauerte elend auf einer steinernen Bank im Garten neben den Gräbern meiner Eltern. Banner, mein Hund, wartete geduldig zu meinen Füßen, den Kopf in meinem Schoß. Ich spielte mit dem lockigen, rauen Fell zwischen seinen Ohren. Der große Wolfshund war zu mir gekommen, kurz nachdem ich Zuflucht auf dem harten Stein gesucht hatte; langsam und mit hängendem Schwanz hatte er sich mir vorsichtig genähert, bis er sicher sein konnte, dass er willkommen war.
Der schwere Nebel, der den Mond verbarg, war kühl, und das Licht der Kerze, die ich mitgebracht hatte, schimmerte auf den Rächen der beiden polierten Steinplatten, die in die Erde gebettet waren. Ich hatte ihnen zwar nichts zu sagen, doch dies war der einzige Ort, an dem ich Zuflucht vor den anderen fand, denn wenn mich jemand hier sah, wagte er es nicht, sich mir zu nähern.
Und ich suchte verzweifelt die Einsamkeit.
Ich richtete mich aus meiner zusammengesunkenen Haltung auf und ermahnte mich, dass ich immer noch eine Prinzessin war, wenngleich keine besonders gute. Banner hob den Blick, ohne den Kopf zu bewegen. Als ich still sitzen blieb, ließ er den Blick wieder ins Leere schweifen, zufrieden damit, mir stumm ein wenig Beistand zu leisten. Die Finger meiner rechten Hand hörten auf, ihn zu kraulen, und ich ließ die Hand flach auf seinem Kopf ruhen. Der Puntabiss schmerzte bis hinab in meine Handfläche.
Der feuchte Wind säuselte durch die Prunkwinden, die sich an dem Spalierbogen über mir emporrankten. Er weckte den schlummernden Zephir in meinem Kopf, und ich stöhnte. Wird das jetzt jedes Mal geschehen, wenn der Wind weht? Mit geschlossenen Augen befahl ich dem Zephir, wieder schlafen zu gehen. Doch er schüttelte sich und
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