Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
schmalen Heinrich, der, hochmütig und lässig im Sattel sitzend, trotz der schlichten Studententracht recht als ein feinblütiges Junkerlein sich dartat.
Vor dem Gartentor sprangen die Männer ab und übergaben ihre Pferde dem herbeigeeilten Pfarrhausknecht. Kaum aber hatte Rudolf den Boden gewonnen, als sich auch schon ein dichter Kreis von Kindern um ihn bildete, die ihn, den Eintritt verwehrend, mit festverschränkten Händen umringten:
„Die Brut, die Brut, die geben wir nit,
Und bis Ihr drümal umesyt,
Dann lah wir die Brut la gah!“
Dreimal mußte der Hochzeiter mit Austeilen von Nüssen, Zuckerzeltlein und Münzen die Runde machen, ehe ihm der Weg freigegeben wurde, den er — nicht ohne dem Vater den Vortritt zu lassen — rasch betrat.
Als Anna seine ungestümen Schritte auf der Treppe hörte, öffnete sie weit die Türe und führte den Bruder herein. Voll Bewunderung betrachtete er das reich ausstaffierte, von Freude und Erregung rote Persönchen, und nachdem er der Pfarrerin ehrerdietig die Hand geküßt, umarmte er mit heißer und andächtiger Zärtiichkeit seine Braut. Anna schien er nicht zu bemerken.
Still begab sie sich nach unten, und etwas zuckte ihr schmerzlich durch die Brust: Ja, das war wohl ein Abschiedstag für sie; der Rudolf — so innig hatten sie einst zusammengehalten und nun — aber, wann er nur glücklich wurde, lieber Gott, wann er nur glücklich wurde!
Unten waren bereits Gäste eingetroffen: Esther und Dietschi, beide vergnügt und mit dem Abglanz bevorstehender Freude auf den behaglichen Gesichtern, der Onkel Pfarrer aus Dübendorf, korrekt und wie immer ein wenig bedrückt neben seiner hartkantigen Frau, der gefürchteten Tante Regula. Dann ein paar Vettern und Basen von Waserscher und Teucherscher Seite, fast alles ältere Leute, die sich, steif oder munter, je nach ihrem Temperament, aber jedenfalls unter vielen und komplizierten Scharringeln ins Haus hinein komplimentieren ließen und die alle auf einem dazu bestimmten Tischlein unter mehr oder weniger vielversprechenden Mienen ein verschwiegenes Päcklein niederlegten. Das waren die Ürten, die Geschenke, damit man an jeglicher Hochzeit die Beteiligten zu überraschen pflegte und gegen welche die hohe Obrigkeit in ihren Sittenmandaten so streng und so erfolglos zu Felde zog.
Anna sah mit Betrübnis, daß Maria nicht da war, und wenn sie auch kaum mehr geglaubt hatte, daß die Schwester sich nachträglich noch zum Kommen entschließen könnte, ihr Fehlen tat ihr nun doch neuerdings leid, und schmerzlich gedachte sie der Einsamen.
Endlich erschien auch das Brautpaar, und nachdem es allseitig mit viel Herzlichkeit, Rührung und Neugier betrachtet und begrüßt worden, schickte man sich eben an, Platz zu nehmen, um der Morgensuppe, die als Warmwein mit Käse und allerlei Gebäck appetitlich hereingetragen wurde, zuzusprechen, als das erneute Anfahren einer Kutsche wiederum alle ans Fenster und vor die Türen rief. Und diesmal lohnte es sich, Ausschau zu halten, zeigte sich doch den erfreuten Augen ein gar stattlicher Aufzug: die landvögtliche Kalesche von Regensberg mit zwei flotten, fremdländisch gekleideten Vorreitern, militärisch, junkerlich der eine, der andere mehr ernsthaft gewandet nach Art ausländischer Gelehrter und Praeceptores.
„Ei was der Tausend,“ rief Rudolf überrascht, als er die Reiter gewahrte, „das sind ja meine Hänse!“ Und völlig uneingedenk seiner hochzeitlichen Würde stürzte er zur Türe hinaus, den beiden entgegen. Auch Anna fühlte sich bei deren Anblick freudig überrascht, da sie in ihnen ihre frühen Reiter unschwer erkannte und alsobald auch des Rätsels Lösung für jene Stimme fand: Der flotte Junker, der Rudolf eben lachend und mit Herzlichkeit umarmte, das war ja der junge Hans Schmid von Wollishofen, der lustige Offizier, mit dem sie einst an einem goldigen Herbsttag durch die Braunfelsischen Wälder gejagt. Ja, und der war es auch gewesen, der dem Bruder zuerst die Freude am Kriegswesen in den Kopf gesetzt und der ihn später auch nachzog nach Holland.
Der andere aber, der Schlanke mit den schlichten dunkeln Haaren und den langgeschnittenen Augen unter den festen Brauen, den kannte sie nicht, nein, den hatte sie nie gesehen, und doch umhalste er den Bruder nicht minder herzlich als der Junker, ja schier mit einer brüderlichen Zärtlichkeit. Und Rudolf nannte ihn Hans Schlatter, seinen lieben Hans … Hatte sie den Namen wohl schon gehört?
Inzwischen war auch die
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