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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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Selbstverständliches? Und tausend Gedanken waren ihr durch den heißen Kopf gejagt und hatten ihr den Schlaf geraubt, sodaß sie erst gegen Morgen in einen kurzen, wilden, ach so seltsamen Traum verfiel.
    Sie erhob sich und warf ein paar Kleider über — die Luft, darinnen man geträumt, ist nicht gesund; sie trat ans Fenster, öffnete es leise und beugte sich weit hinaus, daß die Morgenbrise prickelnd über ihr zusammenschlug. Ah, das tat wohl.
    Aus erfrischten Augen blickte sie in die stille Welt hinaus. Langsam, mit gelblichen Lichtern breitete sich die Frühe über das zürcherische Land zu ihren Füßen, das unter durchsichtigen Septembernebeln mit herbstlich gelben Ebenen und feinen gleitenden Horizonten weithin erglänzte.
    Anna atmete tief. Das war das Freiland, darnach sie sich so oft gesehnt aus ihrer engen dunkeln Gasse heraus, das war die Weite, die irgendwie mit allen glücklichen Zeiten ihres Lebens verbunden war. So groß und glänzend hatte sich der Himmel über ihre Kinderheimat gewölbt, solch freie Morgenluft hatte ihr Berner Stübchen umweht, und also köstlich hatte vor den Blicken der Braunfelsschen Burg das Land sich gebreitet.
    Aber sonderbar, heute bangte ihr fast vor dem unbegrenzten Blick.
    War sie am Ende selber eng geworden in der engen Gasse, daß sie sie nimmer begriff, die Weite, mußte man vielleicht selbst etwas Großes in sich haben, eine große Hoffnung oder ein großes Wollen, um diese Größe zu ertragen? Sie aber hatte wohl beides verloren. Viel Kleinlichkeit hatte sich in ihr Leben gedrängt, daran war das Große verkümmert. Und all das Kämpfen und Nichtnachgebenwollen, es nützte doch nichts, nur die Unrast blieb einem davon und das schmerzliche Drängen. Freilich, sich nicht ergeben, nicht unterliegen zu wollen, tapfer war es schon und nichts verächtlicher denn Feigheit und lahmes Verzagen; aber man brauchte der Sache bloß einen andern Namen zu geben: sich bescheiden, und dann war es auch köstlich und vielleicht gar letzte Weisheit.
    Nachdenklich löste sie den Blick von der glänzenden Ferne und wandte sich der nächsten Umgebung zu. Das stattliche Pfarrhaus lag zwischen der kleinen Kirche und den höchstgestellten Häusern des Dorfes. Zunächst stand eine alte braune Bauernhütte mit wohligen grünsamtnen Mooskissen auf dem breiten Strohdach und mit freundlichen blumenbeschwerten Fensterchen. Vom Hühnerstall her tönte das zufriedene Gackern einer Henne, und aus der schwarz geöffneten Küchentür stieg allbereits ein friedliches Räuchlein auf. Von der andern Seite der Straße aber glänzten die freundlichen, gleichmäßigen Kreuzlein des Totenhofs herüber, der sich um die kleine Kirche zog. Wie ruhig mußte es sich hier leben lassen in der schlichten kleinen Welt, immer in Ansehung des letzten Ziels.
    Der Anblick dieses engbegrenzten Seins tat ihr wohl; sie begriff auf einmal den Bruder. Ein eigen Nestchen? Eine Welt, der man gewachsen ist, die einen nicht erstickt und nicht beherrscht, eine Welt, die man ausfüllt — das war es wohl!
    Sie sah wieder nach der Ebene hinaus.
    Mit der rückenden Sonne hatten sich die feinen Nebelchen gehoben, sodaß nun das Land klarer dalag und wie nähergerückt, und weit draußen auf der Zürcher Straße gewahrte Anna zwei lebendige Pünktlein, die sich dem Dorfe zu nähern schienen. Das war Leben, pulsendes Leben, das die Ferne kürzte! Auf einmal sah alles trauter und froher aus.
    Anna betrachtete scharf die beiden Pünktchen und entdeckte bald zwei winzige Reiterlein, die im raschen Herankommen zusehends wuchsen. Waren es am Ende schon Hochzeitsgäste? Aber wozu so früh am Tag?
    Mit wachsender Aufmerksamkeit beobachtete sie die beiden — es schienen fürnehme Reiter zu sein, flott im Sattel und von fremdartiger Tracht, der eine bunt, dunkel der andere — und als das nahe Hausdach ihr die Aussicht benahm, horchte sie gespannt auf das Pferdegetrappel, das durch die Stille vernehmlich zu ihr hertönte.
    Anna atmete tief auf. Ihre Brust dehnte sich freudig. Oh, das helle Aufschlagen leichter Pferdehufe, wie froh und erwartungsvoll das durch den sonnigen Morgen drang und welch lieben Bildern es rief! Nun waren sie schon nahe — nun mußten sie beim Wirtshaus sein; ob sie wohl da heraufkamen oder nach links abbogen? Sie hielt den Atem an. Das Getrappel hatte aufgehört. Lebhafte Stimmen wurden vernehmlich — ob sie mit dem Wirt unterhandelten? Eines der Pferde schien ungeduldig, es schlug fortwährend den Boden. Und nun

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