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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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schwere Kutsche zum Stehen gekommen, und dem rasch geöffneten Schlag entstieg mit einer bei der Stattlichkeit seiner Figur erstaunlichen Behendigkeit Herr Heinrich Holzhalb, der Landvogt von Regensberg. Dann hob er ritterlich zuvorkommend seine junge Gattin aus dem Wagen und lotste unter gutmütigem Spott endlich auch Herrn Ulrich Weggler, den jungen Dielsdorfer Vikar und Präzeptor zu Regensberg aus der Tiefe des Kastens, allwo der Schüchterne ängstlich und unbeholfen mit zwei riesigen Päcken unter den Armen sitzen geblieben war.
    „Da hat man’s,“ rief der Landoogt gutgelaunt, während er den verlegenen Vikar an die pralle Sonne stellte, „dem gelehrten Volk ist’s alleweil am wohlsten in der Trucke! Euch ausgenommen, vielwackerer Herr und Meister aller Theologi,“ fügte er lachend bei, während er dem herzugeeilten Pfarrer Teucher, seinem getreuen Jagdfreund, herzlich und mit vielwissendem Augenzwinkern die Hand drückte. Und dann ging’s an ein lustig sprudelndes Begrüßen nach allen Seiten. Frau Esther Dietschin erhielt von dem leutseligen Landvogt gar einen Kuß auf ihre einladenden rosigen Wangen unter dem Vorwand, daß sie sein Gotteli sei. In Wahrheit aber war sie bloß seines Vetters Patenkind.
    Anna betrachtete die etwas turbulente Begrüßungsszene vom Fenster aus. Ihre Blicke fielen auf die junge Landvögtin, die heiter lächelnd am Arme ihres Gatten ging. Wie viel hatte man geschwatzt, dazumal, als die schöne junge Margaretha von Muralt den ältlichen Witwer heiratete. Nun aber schien sie doch zu gedeihen unter ihres Eheherrn zärtlicher Fürsorge. Nur Zufriedenheit, nur das Glück konnte eine solch ruhige Heiterkeit verleihen, wie sie in dem schönen Gesicht der Landvögtin sich spiegelte. Die Ankunft der Regensberger Gäste war wie ein Wirbelwind unter die Gesellschaft gefahren, und als man sich endlich zur Morgensuppe beisammenfand, zeigte es sich, daß es höchste Zeit war, wenn man den Sigristen nicht eine Halbstund lang wollte läuten lassen, und schließlich mußte manch eines mit unverschlucktem Bissen im Mund dem Brautzug sich anschließen. Anna ging mit dem Hochzeiter, während Heinrich die Braut führte, und der Zug war so stattlich, daß, als der voranschreitende Pfarrherr bereits unter der Kirchentür stand, die den Beschluß bildenden Kinder eben erst vom Pfarrhaus weggingen.
    *
    „Ich ermahne euch hoch und teuer, o ihr Töchteren Jeruselems, bei den Rehen und Hirschen des Feldes, daß ihr die Liebe nicht ohnruhig machet oder erwecket, bis sie selbst wolle.“
    Mit ruhiger, unpfarrlich natürlicher Stimme las Herr Teucher den Text seiner Hochzeitspredigt.
    Anna schrak leise zusammen. Salomonis Lied! Da war keine Seite in der ganzen Heiligen Schrift, die ihr also das Innerste aufwühlte und sie mit süßem Weh also peinigte, wie diese unergründlichen, vieldeutigen Worte der sehnenden Sucht. Wie oft hatte sie sich angestrengt, darin das Symbolum der himmlischen Liebe so recht zu erfassen. War es ihr je geglückt? Immer hatten sich seltsame fremde Gedanken dazwischen gedrängt — unverständlich und bang — und doch war es schön über alles Sagen und ein Glaube darin, so fest, daß es ihr fast das Herz abdrückte.
    Nur heute hätte sie diese Worte nicht hören sollen, heute nicht, da ihre Seele weich war und locker wie Erdreich, durch das der Pflug gefahren und das sich nach Regen sehnt.
    Sie zwang sich zu klaren Gedanken und versuchte emsig, den Worten des Pfarrherrn zu folgen, der sich in etwas lederner, wohl in Hinsicht auf den theologischen Schwiegersohn mit Gelehrsamkeit reichlich gespickter Rede anstrengte, die irdische Ehe der himmlischen Verbindung mit Jesu zu vergleichen.
    Es waren Worte, wie sie solche hundertmal vernommen hatte. Im selben grauen Gleichstrom flossen sie auch von den zürcherischen Kanzeln; aber wann er hier und da im Wandel der Abhandlung auf den Text zurückkommend einen Vers des Hohen Liedes zitierte, war ihr jeweilen, als ob es purpurn aufleuchtete wie der Ritz am Granatapfel, und es durchschauerte sie, daß sie sich zusammennehmen mußte, um die Bewegung des Innern nicht nach außen treten zu lassen; denn unter der Kanzel, ihr gegenüber, saßen die beiden Reiter. Der Fremde hatte den Kopf zurückgeworfen, und ihr schien, als ob er sie unter gesenkten Wimpern unablässig betrachtete. Der, wann er etwas erraten hätte von der zitternden Bedrängnis ihrer Brust, so peinvoll, nicht zu ertragen wär’ es gewesen!
    Indessen schickte der Pfarrherr

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